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Das alte Siegel

Das alte Siegel

Titel: Das alte Siegel
Autoren: Adalbert Stifter
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gingen rückwärts durch den Garten und an den Blumenbeeten entlang. Der Rappe stand am Gitter, von dem traurigen Knechte gehalten. Der alte Krieger wollte grimmig darein schauen, um sich selber zu Hülfe zu kommen; aber wie er dem Sohne, der bisher stumm und standhaft den Schmerz nieder gekämpft hatte, die Hand gab, und nun sah, daß dessen gute, junge und unschuldige Augen plötzlich voll Wasser anliefen, so kam auch in die starren, eisengrauen Züge des alten Mannes ein so plötzliches Zucken, daß er es nicht mehr zurück halten konnte. Er sagte nur die ganz verstümmelten Worte: »dummer Hasenfuß,« und kehrte sich um, indem er heftig mit den Armen schlagend in den Garten zurück ging. Hugo sah es nicht mehr, wie der verlassene Mann, um sich seinem Anblicke zu entziehen, in die allererste Laube hinein ging, und dort die Hände über dem Haupte zusammen schlug: sondern er ließ sich von dem Knechte den Steigbügel halten, schwang sich auf, und ritt mit fester Haltung den Berg hinab, weil er meinte, der Vater sehe ihm nach; aber als er unten angekommen war, und die Haselgesträuche ihn deckten, ließ er dem Herzen Luft, und wollte sich halb todt weinen vor ausgelassenem Schmerze. Er hörte noch das Dorfglöcklein klingen, wie es in die Frühmesse läutete, und neben ihm rauschte das grüne klare Wasser des Gebirgsbaches. Das Glöcklein klang, wie es ihm zwanzig Jahre geklungen, der Bach rauschte, wie er zwanzig Jahre gerauscht - und beide Klänge goßen erst recht das heiße Wasser in seine Augen.
    »Ob es denn,« sagte er gleichsam halblaut zu sich, »in der ganzen Welt einen so lieben Ort und einen so lieben Klang geben könne, und ob ich denn nur noch einmal in meinem Leben diesen Klang wieder hören werde!«
    Das Glöcklein hörte endlich auf, nur der Bach hüpfte neben ihm her, und rauschte und plauderte fort.
    »Grüße mir den Vater, und das Grab der Mutter,« sagte er, »du liebes Wasser.«
    Aber er bedachte nicht, daß ja die Wellen nicht zurückflossen, sondern mit ihm denselben Weg hinaus in die Länder der Menschen gingen. - -
    Fuhrleute mit krachenden Wägen begegneten ihm auf der Straße, der graue Gebirgsjäger mit dem Gemsbarte ging über den Weg, Heerdenglocken klangen, der Thau glänzte auf den Bergen - Hugo ritt langsam aus einem Thale in das andere, und aus jedem derselben kam ihm ein Bächlein nach, und alle vereinten sich, und zogen als größerer Bach mit ihm des Weges weiter - der Himmel wurde immer blauer, die Sonne immer kräftiger, und das Herz des Reisenden mit. Nachmittags, als ihm die straffe Gebirgsluft schon längst die letzte Thräne von dem Auge getrocknet hatte, und seine Gedanken schon weit und breit wieder ihre Wege gingen, dauerte doch noch eine gewisse Weichheit und Sehnsucht fort, die ihm sonst fremd gewesen waren. Er suchte daher, als er seine erste Nachtherberge erreicht hatte, sogleich sein Lager, und entschlummerte todtmüde, während in seinen Ohren Heimatglocken klangen und Heimathsbäche rauschten. In der ganzen Nacht hing das Bild des abwesenden Vaters vor den zugemachten Augen.
    Deßohngeachtet erwachte er am andern Morgen gestärkter und ruhiger, und jeder Tag, der da folgte, legte sein Körnlein dazu, bis er am Abende des sechsten Tages wohlgemuth und staunend in die Herrlichkeit der Hauptstadt einritt.
    Hier wußte er nun nicht, was er gleich beginnen sollte. Der einzige Empfehlungsbrief, den er mit bekommen hatte, nemlich der an den alten Feldobristen, war ihm unnütz; denn der Feldobrist war schon längstens gestorben, und so war er also mit sich allein. Das erste, was er vornehmen wollte, bestand darin, daß er sich irgendwo ein Stübchen miethe, in dem er lebe, und die Dinge ansähe, wie sie hier sind, damit er erfahre, was er dann weiter zu erringen habe.
    Mit dem Pferde, welches er mitgebracht hatte, war er gleich Anfangs in eine große Verlegenheit gekommen. Es war zur Zeit, als er von Hause ging, nicht mehr Sitte, zu Pferde zu reisen, sondern der Reitpferde bediente man sich nur im Heere zum Dienste, und außer demselben, vorzüglich in der Stadt, blos zu dem einen oder dem andern Spazierritte. Er war daher häufig angeschaut worden, wenn er so auf seinem Rappen die Straße dahin zog, und als er in die Hauptstadt gekommen war, waren alle Reitpferde schöner, waren alle ganz anders gesattelt und gezäumt, als das seine, und überall wo er um ein Zimmer für sich fragte, war kein Stall, in welchen er seinen Rappen hätte thun können. Er gab daher
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