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Das alte Siegel

Das alte Siegel

Titel: Das alte Siegel
Autoren: Adalbert Stifter
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unschuldiges Opfer, das nie etwas anderes gekannt hatte, als die Mauern meines Erziehungshauses und die starren Mienen meines Gatten, ich lag auf den Knieen, und bat um die Erfüllung seines Wunsches - umsonst - da that ich das Gelübde, meine Schönheit, auf die ich sonst so eitel gewesen war, zu vertilgen; ich versprach der heiligen Jungfrau, daß ich täglich in den Kleidern einer Matrone, und mit dichtem herabgelassenem Schleier zu Fuße in die Messe gehen und vor dem Altare knieen wolle, bis kein Mensch mehr in der Kirche sei, damit der Himmel den Fluch von mir nehme. - Das that ich mehrere Jahre - allein der Fluch wurde nicht von mir genommen. Mein Gatte wurde immer härter - ach, Hugo, als ich dein großes schönes Herz kennen lernte, wußte ich erst, welch' ein Tyrann er gewesen war - aber früher litt ich alles, weil ich nicht anders wußte, als daß er mein Gemahl sei, und daß ich ihm gehorsamen müsse. Er wurde krank, langsam fiel er dem Grabe entgegen - und seine Ungeduld und sein Grimm wuchsen immer mehr. Zwei Dinge waren es, die vorzüglich an seinem Herzen fraßen: zuerst, daß in Frankreich die alte Ordnung immer nicht zurückkehren wollte - und zweitens, daß er mich aufs Tiefste verachtete.«
    »In jener Zeit geschah es, daß er eines Entwurfes willen, in den er sich eingelassen hatte, heimlich nach Frankreich reisen mußte. Er schnürte seine Sachen, bestieg den Wagen, und ließ mich in eurer Stadt zurück. Damals trat nun der Versucher an mich.« - -
    »Ach Hugo, ich will dir alles, alles sagen - aber an dem, was Dionis vorschlug, war ich so wahrhaftig unschuldig, so wahrhaftig es eine ewige Seligkeit im Himmel gibt. - Dionis war der Haushofmeister meines Vaters gewesen, er wurde nach dem Tode desselben der meinige, und war mein Rathgeber und Freund. Wenn ich sagen sollte, daß er mir bis dahin je das geringste Unrecht vorgeschlagen habe, würde es eine Lüge sein: aber der inbrünstige Haß gegen meinen Gatten, und die große Liebe gegen mich mußten den alten Mann verblendet haben. Da ich durch die Entfernung meines Gemahls allein in seiner Obhut zurück gelassen war, erzählte er mir eines Tages eine Geschichte von einer Frau, die an einen harten greisen Mann geschmiedet gewesen war, und vieles Unglück erduldet habe. Da sei ihr ein schöner Jüngling erschienen, sie habe schöne Kinder gehabt, und habe das künftige Wohl des Hauses gegründet. Viel später sagte er einmal, daß er einen jungen blonden Mann kenne - weil mein Gatte auch blond war - der so schön und so unschuldig sei; wenn mich dieser einmal erblickte, so würde er gewiß in heißer innerster Liebe gegen mich entbrennen. - Da er aber sah, daß ich die Rede nicht verstand, und befremdet war, schwieg er von da an stille, und ich bemerkte, daß er sich nun von mir zurück zog. - - O Hugo! seine Worte mochten eine Vorbedeutung gewesen sein.«
    Dem zuhörenden Manne öffneten sich seine innern Augen, er sah auf das erzählende Weib, unterbrach es aber nicht.
    Sie fuhr fort: »Wenige Wochen nach diesem Gespräche, das ich doch nicht ganz vergessen konnte, sah ich dich! Ich habe an jenem Morgen ernstlich geglaubt, daß niemand mehr in dem Gotteshause sei, und ging mit gehobenem Schleier, weil es unter demselben schwül war, gegen die Pforte zurück - da standest du im hintern Theile des Chores - wir sahen uns - ich bemerkte gleich, daß du mich anblicktest, und ließ den Schleier über das Gesicht fallen. - Damals dachte ich mir innerlich oft, wie süß, wie unendlich süß die Liebe sein müsse, und wie lohnend für alles Weh der Erde. Dann sah ich dein Annähern - - Hugo, ich habe in jener Gasse nicht absichtlich das Blatt fallen gelassen, daß du mir es bringest - oft hat mich der Gedanke gequält, daß du dieses glauben könntest - - aber, da du es brachtest, war mir die Handlung hold - - und es ist im Ernste wahr, wenn du grüßtest, schwindelten mir die Häuser der Straße vor dem Blicke. Als du mit mir endlich in der einsamen Gasse geredet hattest, entdeckte ich mich außer meinem Mädchen, das längst mein Inneres kannte, noch Dionis, und fragte ihn um Rath. Der alte Mann zeigte viele Freude, er miethete das Gartenhäuschen, er borgte Geräthe und richtete es ein. Ich wohnte nicht dort, Hugo; jeden Vormittag ging ich meinem Gelübde nach in die Kirche, aber es war nicht mehr die von Sanct Peter, in der du mich zum ersten Male gesehen hast, sondern eine andere; im Nachmittage war ich in dem Häuschen, und du warst bei mir. Mein
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