Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das alte Siegel

Das alte Siegel

Titel: Das alte Siegel
Autoren: Adalbert Stifter
Vom Netzwerk:
Herz, das mir so viel versprochen hatte, belog mich nicht. Ach! - warum mußtest du denn mehrere Tage nicht kommen?! In der Nacht des dritten, an dem ich dich nicht gesehen hatte, mußte ich fort. Mein Gatte war in Genf todtkrank geworden, er sandte einen Freund, mich augenblicklich zu holen; dieser kam in der Nacht, wechselte die Pferde, ließ mir so viel Zeit, daß das Nöthigste gepackt wurde, und nahm mich fort. Ich konnte blos auswirken, daß mir Dionis erst am nächsten Tage folgen dürfe, damit er dir alles sage, und damit er mit dem Eigenthümer des Häuschens ins Reine käme. Das Letzte that er, aber ach, das erste nicht, damit du nicht etwa auf die Spur kämest, wer ich wäre. Wenn sich die Sache wie immer wendete, sagte er, da er mich eingeholt hatte, so kämen wir entweder bald in deine Stadt zurück, oder könnten dir auf eine geschickte Weise Nachricht geben. Der alte Mann fürchtete in der schwebenden Lage für meine Erbschaft. Die Sache wendete sich auch bald. Ich kam nach Genf, mein Gatte starb, und machte mich zur Erbin seines und meines Vermögens. Ich weinte bitterlich an seinem Grabe; denn er war ein sehr armer, armer Mann gewesen. - Als sich meine Lebensgeister wieder gesammelt hatten, richtete ich sogleich alles in Ordnung, und wollte wieder zurück reisen. Allein es war indessen der Krieg ausgebrochen, und hatte sich beinahe mit den Flügeln des Windes über alle Länder ausgebreitet. Ich konnte nicht durch. Mit vieler Mühe und nach langer Zeit verschaffte ich mir Pässe aller Art - die Reise war sehr langsam, da oft keine Pferde waren, oft die Leute sie verläugneten. - - Endlich kam ich an, aber du warst fort. Wie ich dachte, hattest du dich in die Reihe der Krieger gestellt. - Nun forschten wir Jahr nach Jahr, wir wußten nicht, bei welcher Macht, und in welcher Abtheilung du stündest - - die Kriege wälzten sich hierhin und dorthin - - Hugo, viele lange Jahre haben wir geforscht - endlich fanden wir dich - - du bist da.« - -
    Das Weib hatte das Letzte fast mit Angst gesagt, und dann hauchte sie beinahe nur noch die Worte hinzu: »Nun, Hugo, rede.«
    »Wie sieht denn Dionis aus?« fragte er.
    »Es ist ein sehr alter hagerer Mann mit weißen Haaren und blauen Augen,« antwortete sie.
    »Ein wenig vorgebeugt?«
    »Ein wenig vorgebeugt.«
    »Traue ihm nicht mehr,« sagte Hugo, »er war falsch gegen uns beide.«
    »Lasse jetzt Dionis, antwortete sie, und rede« - -
    Aber er redete nicht, seine Augen waren zu Boden geheftet - sie schwieg auch und wartete.
    Endlich sagte er: »Heißest du auch wirklich Cöleste?«
    »Ja, ich heiße Cöleste,« antwortete sie.
    »Siehe, Cöleste, das hast du nicht gut gemacht, nicht gegen deinen Gatten und gegen mich. Ich kann dir nicht mehr trauen.«
    »O meine Ahnung, kreischte das Weib, indem sie ihr Angesicht in die Kissen des Sophas verbarg, - eilf Jahre habe ich ihn gefürchtet, diesen Augenblick.«
    Eine Zeit lang hielt sie die Glut des Antlitzes gegen die bergenden Kissen gedrückt. Dann hob sie das Haupt wieder, um in seine Züge zu schauen. Er war aufgestanden, sein Angesicht war entfärbt, aber sie konnte nicht erkennen, was in ihm vorgehe.
    »Hugo, Hugo,« rief sie, »blicke nicht so,« - und halb knieend flehte sie zu ihm: »Lerne mich nun auch als rein kennen, ich bin es - ich werde es sein - o rechtfertige mich vor mir, und lerne mich kennen, daß ich gut bin.« - -
    Hugo wurde noch blässer, und sagte: »Ich habe gedacht, ein anderes Leben führen zu wollen, als der Gatte einer Witwe zu sein, von dem sie sagen, daß er schon vor dem Tode ihres Mannes mit ihr im Einverständnisse gewesen sei.«
    »Sie werden es nicht sagen, Hugo,« antwortete sie, »denn kein Mensch weiß es.«
    »Ich selber würde es sagen,« erwiederte er.
    »Du wirst es nicht sagen: denn du bist unschuldig,« antwortete sie; »weißt du? du hattest nie eine Ahnung, daß du jemand andern liebest, als ein Mädchen.«
    »Dann bist du desto schuldiger,« sagte er. »Siehe, Cöleste, hättest du mir gesagt, daß du ein vermähltes Weib bist - ich wäre dir ferne gestanden, ich hätte nie eine andere geliebt, und wenn der Himmel unsere Verbindung möglich gemacht hätte, ohne daß wir schuldig waren, wären wir sie frei eingegangen vor Gott und der Welt.«
    »Ich hatte Angst, dich zu verlieren,« sagte sie schüchtern. - - »Wenn du verziehest.«
    »Das verstehst du nicht, Cöleste,« antwortete er. »Ich verzeihe dir von Herzen, und beklage uns. Wärest du die niedrigste Magd,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher