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Das alte Siegel

Das alte Siegel

Titel: Das alte Siegel
Autoren: Adalbert Stifter
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Hugo aber sah in dem Wagen jenen Greis sitzen, der ihn einstens in die Kirche von Sanct Peter zu gehen gebeten hatte. Er hatte den Mann längst vergessen gehabt, aber wie er ihn hier fahren sah, erkannte er ihn augenblicklich wieder. Er fragte die Umstehenden und mehrere aus dem Hause, wem der Wagen gehöre, und wer der Mann sei, der darinnen gesessen ist. Die einen wußten es nicht, und die andern hatten keinen Wagen vorbei fahren gesehen.
    Hugo achtete nicht weiter darauf; denn im Kriege war er an ganz andere und wunderlichere Zufälle gewöhnt worden, als daß er einem Dinge Bedeutung zugeschrieben hätte, das ihn nur in seiner Jugend angelockt hatte, eben weil er jung war.
    Als man von dem Gespräche auf dem Balkone auseinander gegangen war, wo man noch die Nachricht empfangen hatte, daß in drei Tagen eine erwartete Abtheilung eintreffen und man dann vereint den Marsch weiter fortsetzen werde - und als Hugo hierauf in seine Wohnung zurückgekehrt war, fand er dort einen Diener mit einem Briefe auf sich warten. Der Mensch sagte, er müsse eine Antwort mit sich fort nehmen. Hugo öffnete das Blatt und erkannte die Schriftzüge Cölestens. Sie war zwar nicht unterschrieben, aber in den Worten: »wenn er noch an ein Häuschen denke, um welches viele Linden gestanden seien« erkannte er sie, wenn er auch an der Schrift noch gezweifelt hätte. Das Blatt enthielt die Bitte, er möchte, sobald es ihm möglich sei, zu dem Schreiber dieser Zeilen auf das Schloß Pre zu Besuch kommen, wenn es auch nur kurz sei, er werde sehnlich erwartet.
    Hugo schrieb auf ein Blatt, er werde morgen um drei Uhr Nachmittags, wo ihn der Dienst entlasse, von hier nach Schloß Pre hinüber reiten. Er siegelte das Blatt und gab es dem Diener.
    Obgleich im tieferen Frankreich in der Abtheilung, bei der Hugo stand, schon zwei Mal der Fall vorgekommen war, daß deutsche Krieger auf unbegreifliche Weise verschwunden waren, weßhalb jedes einsame Ausgehen oder Ausreiten verboten war: so ritt er doch, da es drei Uhr des andern Tages Nachmittags schlug, zum Thore des Städtchens hinaus. Er kannte Furcht als Beweggrund nicht. Er ritt sogar ganz allein, und hatte auch vorher niemanden gesagt, wohin er sich begebe, damit er den Ruf des weiblichen Wesens, von dem er den Brief habe, nicht gefährde.
    Außer dem Städtchen dehnte sich eine ziemlich breite Haide, über welche er sprengte, was nur sein Rappe auszugreifen vermochte. Hierauf kam er über die sanfte Wölbung eines baumlosen Rückens, jenseits dessen man ihm Schloß Pre bezeichnet hatte. Die Gegend war sehr öde, und weit und breit war kein Haus. Als er die Schneide des Rückens erreicht hatte, sah er in eine schöne Thalwiese hinab, auf welcher viele Eichen standen und unter ihnen das Schloß. Es war ein wenig düster, und mit veralteter schwerer Baupracht der Lehenszeiten blickte es auf die öde Landschaft hinaus. Hugo ließ sein Pferd den Abhang hinab gehen, und kam an dem Schlosse an.
    Unter einem leichten Schauer der Erwartung ritt er durch das schwarze Thor ein, das hinter ihm das Gitter fallen ließ, weil man sich noch immer vor streifendem Gesindel fürchtete. Er dachte, da er an dem Mauerwerke des Hofes empor schaute, ob nicht hinter jenen Fenstern oben eben so ein Herz poche, wie hier unten das seine. Derselbe Diener, der ihm den Brief gebracht hatte, nahm ihm das Pferd ab, zwei andere rissen die Thüren auf, dahinter erwartete ihn ein feingekleideter Mann, der ihn die schönen Treppen hinauf geleitete, durch prachtvolle Gemächer führte, und endlich auf eine Thür wies, durch die er eintreten möge.
    Er trat ein. Ein leichtes »Ach« entglitt unwillkührlich seinen Lippen; denn es waren die vier Zimmer des Lindenhäuschens, in denen er sich befand - sie waren bis in die kleinste Kleinigkeit dieselben, nur daß statt der Linden ungeheure Eichen vor den Fenstern standen. Er ging durch das erste Zimmer - er ging durch das zweite - - im dritten stand eine Frau in grauer Seidenkleidung an dem Marmortische des Spiegels wie einst - sie war etwas stärker geworden - bei dem Geräusche seiner Tritte wendete sie sich - sie war todtenblaß - ein Schrei - »Hugo!« »Cöleste!« - und sie lagen sich in den Armen - alles war dahin: das ganze eherne Rad des Krieges war von seinem Herzen, und lange, lange Jahre von dem ihren. Die reinste, wärmste, süßeste Flamme des Kusses wurde gefühlt, der holde Druck des Armes wurde empfunden, wie sie die ihren um seinen Nacken, er die seinen um den ihrigen
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