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Das alte Kind

Das alte Kind

Titel: Das alte Kind
Autoren: Zoe Beck
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hinein hatte Mòrag die Rasierklingen entsorgt, offenbar ohne sich mit der Frage aufzuhalten, was blutige Rasierklingen auf dem Badewannenrand zu suchen hätten.
    »Was ist mit dieser Mòrag los?«, fragte Hepburn, als die drei im Auto saßen. Sie fuhren Ben zurück zum Krankenhaus, wo sein Wagen noch stand. »Kommt nach Hause, die Wohnung ist blutverschmiert, im Bad eine Wanne voller Rosenblätter und Blut und Wasser, und sie fängt erst mal an, im Designerkleid zu putzen? Und warum zum Teufel sieht sie aus wie Fiona? Oder ist es umgekehrt? Ich dachte, das hört irgendwann in der Pubertät auf, dass sich beste Freundinnen anziehen wie Zwillinge.«
    »Tja«, sagte Ben.
    Hepburn drehte sich vom Beifahrersitz so, dass sie ihm ins Gesicht sehen konnte. »Warum behauptet Fiona, mit Ihnen verlobt zu sein?«
    Ben überlegte, wie viel er DS Hepburn über Fiona erzählen sollte. Und wie viel er selbst eigentlich über sie wusste.
    Kennengelernt hatten sie sich auf Mòrags Geburtstagsfeier. Ein Kollege von früher, als Ben noch beim Scottish Independent als Gerichtsreporter angestellt gewesen war, hatte ihn mitgenommen. Marcus und er hielten noch sporadisch Kontakt, und manchmal, wenn Marcus, der Kulturredakteur, eine Einladung hatte, die nicht allzu trocken zu werden versprach, rief er Ben an, um ihn mitzunehmen. Mòrags Party war keine berufliche Einladung gewesen, aber Marcus kannte sie von einigen Vernissagen und schien scharf auf sie zu sein. Er stellte auch gleich klar, dass er unmöglich allein erscheinen konnte, das sei viel zu uncool und offensichtlich. Weshalb Ben nicht anders konnte, er musste mit. Klarer Fall.
    Die Party fand in Mòrags Wohnung in der Forth Street in Broughton statt. Broughton, gehobene, gezähmte Bohème, die ihre fair gehandelten Biosachen bei Real Foods kaufte, um anschließend um die Ecke glutenfreien Biokuchen im urban angel mit koffeinfreiem Biokaffee runterzuspülen, das musste man sich erst mal leisten können. Politisch korrekt statt politisch: Broughton, das pink triangle der Stadt, was glamouröser und größer klang, als es war. Hatte man die Bars und Cafés der Broughton Street hinter sich gelassen, landete man in ruhigen Seitenstraßen. Die imposante georgianische Architektur der New Town hatte großzügige Wohnungen entstehen lassen mit großen, teils bis zum Boden reichenden Fensterfronten. Ben konnte von der Straße aus sehen, dass Mòrags Party längst begonnen hatte: Er sah hinter jedem Fenster Menschen, die ausgelassen tanzten, und am offenen Fenster über ihm stand eine junge Frau, rauchte und sah ihm direkt in die Augen. Auch wenn ihr Gesicht im Schatten lag, war Ben in dieser Sekunde davon überzeugt, noch nie so viel Schönheit gesehen zu haben, noch nie einen solchen Zauber verspürt zu haben. Er wusste, dass dieser Moment eine Illusion war. Er sah diese Frau nicht einmal richtig. Er projizierte einen Wunschtraum in die Schatten und das Zwielicht. Und er genoss den Schauer, der ihn dabei überlief. Dann legten sich zwei Arme um ihre Hüften, und sie wurde in den Raum zurückgezogen. Der Moment war vorbei.
    Marcus hatte sie ebenfalls gesehen. Er schnappte kurz nach Luft, und Ben schloss, dass es Mòrag gewesen sein musste. Und vielleicht hatte sie gar nicht zu ihm hinuntergesehen, sondern zu Marcus.
    Er war enttäuscht, als er wenige Minuten später vor der Gastgeberin stand: Mòrag Friskin war vollkommen reizlos. Sie sah aus wie eine Frau, die sich zu viel Mühe gab. Das Make-up zu dick aufgetragen, die Kleidung zu sexy für ihre zwar schlanke, aber nicht verführerische Figur, die Haare einige Nuancen zu dunkel gefärbt für den Teint einer Naturblondine. Mòrag, das war sein erster Gedanke, wirkte irgendwie nicht echt. Von Marcus hatte er erfahren, dass sie Film studiert und darin sogar promoviert hatte, dass sie Kurse an der Uni gab und wohl schon das eine oder andere preisgekrönte Filmprojekt auf den Weg gebracht hatte. Gerade bereitete sie etwas für das in Edinburgh jährlich im August stattfindende Fringe Festival vor. Er überlegte, ob ihre künstliche Ausstrahlung etwas damit zu tun haben könnte, dass sie selbst vielleicht gerne Schauspielerin geworden wäre, sich gerne verkleidete und anders gab.
    Ben schämte sich für den verlorenen Moment des Zaubers, für die Illusion, der er aufgesessen war. Und langweilte sich entsetzlich auf dieser Party. Während Marcus seine Chancen bei Mòrag offensichtlich richtig eingeschätzt hatte und mit ihr spurlos verschwand,
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