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Das Albtraumreich des Edward Moon

Das Albtraumreich des Edward Moon

Titel: Das Albtraumreich des Edward Moon
Autoren: Jonathan Barnes
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machten. Um sich zu stützen,
lehnte er sich einen Augenblick lang an die Tür, dann betrat er halb wankend,
halb stolpernd das Haus und krächzte den Namen seines Sohnes.
    Natürlich bekam er keine Antwort, und Skimpole
schwankte weiter, entschlossen, bei seinem einzigen Kind zu sein, wenn der Tod
sein Recht einforderte. Blutend aus einem Dutzend verschiedener Körperstellen
und nach Erbrochenem stinkend, torkelte er in die Küche und wimmerte nach
seinem Sohn.
    In diesem Moment sah er ihn. Oder, besser gesagt,
das, was von ihm übrig war.
    Selbst ich (der wohl kaum als zimperlich zu
bezeichnen ist) kann es kaum ertragen, das Bild zu beschreiben, das sich
Skimpole bot. Zweifellos haben Sie schon eine recht gute Vorstellung
davon – Sie werden zu diesem Zeitpunkt bereits erraten haben, welche Art
von »Gebühr« den Präfekten vorschwebte.
    Der kleine Skimpole lag ausgestreckt auf dem
Rücken, bleich und kalt, einen erbarmungswürdigen Ausdruck von tödlichem
Entsetzen auf dem Gesicht. Haut und Kleider waren dunkelrot, und jeder Knochen
in seinem Körper war gebrochen. Man hatte ihn mit seinen eigenen Krücken zu
Tode geprügelt.
    Stumpf und teilnahmslos fragte sich Skimpole, ob
sich die beiden dabei wohl abgewechselt hatten.
    Zu schwach, um Wut und Schmerz hinauszuschreien,
zu erschöpft, um zu weinen, fiel der Albino auf die Knie und auf sein
zerschmettertes Kind. Mit letzter noch verbliebener Kraft griff er nach der
blutignassen Hand seines toten Sohnes, drückte sie fest und wartete geduldig
auf das Ende.
    Was die Mörder angeht – kein
Schutzmann wird sie je ergreifen, kein Gericht sich mit ihren zahllosen
Verbrechen beschäftigen.
    Nach ihrem Verschwinden wurde eine halbherzige
Jagd nach ihnen veranstaltet, bei der nichts herauskam, und so wurde die ganze
Sache rasch fallengelassen. Offen gesagt, ich bezweifle, dass irgendjemand sie
wirklich
finden wollte.
    Soviel ich weiß, sind die Präfekten danach noch
zweimal in Erscheinung getreten, obwohl ich sicher bin, dass sie in weiteren
Berichten, die ich bislang noch nicht kenne, vorkommen – in den finsteren
Winkeln anderer Geschichten, einigen sehr alten, solchen, die noch gar nicht
erzählt sind, und anderen, die möglicherweise noch sonderbarer sind als diese
hier.
    Vor zwölf Jahren haben Zeugen einer Greueltat, die
unter dem Schutz und Schirm der neuen russischen Regierung begangen wurde,
behauptet, zwei Männer in der Kleidung englischer Schuljungen gesehen zu haben,
die in dem Massaker die Hauptrolle spielten. Natürlich glaubte ihnen kein
Mensch, aber diejenigen von uns, die sich an jenem Tage unter dem Monument
befunden hatten, erkannten auf den ersten Blick die Handschrift von Mister
Hawker und Mister Boon.
    Zum zweiten Mal tauchten sie erst kürzlich
auf – bei einem entsetzlichen Blutbad in Neuseeland. Ich las einen
Zeitungsbericht über die Sache, illustriert von einer verwackelten Fotografie,
die unmittelbar nach den Geschehnissen aufgenommen wurde. Vermutlich war es
pure Einbildung, aber ich hätte schwören können, Hawker am Rande des Bildes zu
sehen – verschwommen und schwer zu erkennen; aber mir schien, als würde er
hoch erfreut über sein Werk grinsen, über den Tod und die Zerstörung, die er
angerichtet hatte. Bedauerlicherweise bin ich außerstande, dies zu belegen,
weil mir die Zeitung nach kaum einer Stunde wieder entzogen wurde. Man ist hier
überaus streng, was Lesematerial betrifft.
    Es versteht sich von selbst, dass ungeachtet all
der Jahre, die seit der Schlacht an der Station King William Street vergangen
waren, dieser Hawker auf der Fotografie um keinen Tag gealtert schien – so
als wäre er in der Zeit erstarrt wie eine Fliege im Bernstein.
    Sollte Ihnen je das unsägliche Missgeschick
widerfahren, diesen Kreaturen über den Weg zu laufen, so muss ich Ihnen wohl
kaum ausdrücklich ans Herz legen, sich vor ihrem Lügengeschwätz die Ohren
zuzuhalten und wie verrückt um Ihr Leben zu rennen.
    Mir ist ein pittoresker Tod wie jener
Mister Skimpoles nicht vergönnt. Ich unterliege einer weitaus längeren und in
gewissem Sinne grausameren Vollstreckung des Todesurteils. Eine Zeit lang war
davon die Rede, mich wegen Landesverrats zu hängen (ich glaube, Inspektor
Merryweather erhob seine Stimme besonders laut in dieser Richtung), aber es
gelang mir unter größten Anstrengungen, diejenigen, die mich gefangen genommen
hatten, zu überlisten. Nach einigem etwas entwürdigendem Schauspielern
meinerseits wurde ich hierher
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