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Das Albtraumreich des Edward Moon

Das Albtraumreich des Edward Moon

Titel: Das Albtraumreich des Edward Moon
Autoren: Jonathan Barnes
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an dieser Stelle gestanden hatten – das
einzige Überbleibsel der beiden – waren ein stechender Geruch nach
Feuerwerk und der fade Nachgeschmack von Brausepulver.
    Sie ließen vielleicht drei Dutzend Leute am Leben;
die Toten waren bei Weitem in der Überzahl.
    Dies nun war der letzte schreckliche
Zufall des Tages – als sich alle Fäden verknüpften, um das totale
Scheitern meiner Pläne sicherzustellen. Nur gut, dass ich ein starker und
gutmütiger Mensch bin und nicht zur Verbitterung neige; jemand mit größerem
Hang zum Selbstmitleid als ich hätte sich wohl nicht unberechtigterweise als
zweiten Hiob betrachtet.
    Ich trieb den Präsidenten voran, durch den Tunnel
zurück zu seiner Kugel. Seine Zersetzung schritt rasch fort, jetzt fehlte ihm
bereits das halbe Gesicht, und sein ganzer Körper sonderte Rinnsale dieser
grässlichen grünen Flüssigkeit ab. Ich gab mir alle Mühe, damit nicht in
Berührung zu kommen, konnte aber dennoch nicht vermeiden, dass Spuren davon auf
mich gelangten. Auf meiner Haut zischte und knisterte es, und es roch nach
verbrannter Wurst.
    Schließlich erreichten wir
Love
, und ich
versuchte, den alten Mann ins Innere unserer Räumlichkeiten zu drängen. Doch
plötzlich vernahm ich einen entfernten Ruf: »Tan!« Es war natürlich Moon, der
auf Rache oder sonst etwas sann. Ich schaffte den Präsidenten durch die grüne
Tür und in die große Halle.
    Was danach kam, war wirr und schwer zu verfolgen.
Selbst heute noch habe ich größte Mühe, die Geschehnisse ihrem tatsächlichen
Ablauf gemäß in eine korrekte Ordnung zu bringen.
    Der Präsident erkannte die große Halle auf den
ersten Blick, und ich muss sagen, dass sein Verhalten daraufhin keineswegs von
Dankbarkeit für die tröstliche Heimkehr zeugte. Vermutlich brachte er sie mit
seiner langen Gefangenschaft in Verbindung, mit dem Tank und der Flüssigkeit
darin. Folglich war er plötzlich fieberhaft bestrebt, umzukehren und wieder
nach oben zu gelangen.
    Er krächzte etwas, von dem ich meine, es sollte
»nein!« heißen, aber sein ganzes Inneres war so zerfressen von dem klebrigen
grünen Schleim, der ihm immer noch aus jeder Pore drang, dass die Worte, die
sich aus seiner zerstörten Kehle quälten, eher wie Tierlaute klangen denn wie
menschliche Sprache.
    Heldenmütig versuchte ich, ihm gut zuzureden.
»Herr Präsident, ich bitte Sie! Ich kann Sie wieder instandsetzen! Glauben Sie
mir, es ist zu Ihrem Besten!«
    »Nach oben!«, ächzte er, jetzt besser zu
verstehen. »NACH OBEN!«
    »Bleiben Sie, ich flehe Sie an!«
    Bei diesen Worten schien er sich etwas zu
beruhigen, und ich trat an ihn heran, um ihn an der Hand zu nehmen und in
seinen Tank zurückzuschaffen. Und das war vermutlich der größte Fehler, den ich
machen konnte, denn mit einem Hieb dessen, was von seiner rechten Hand übrig
war (genaugenommen eher ein Stumpf), traf er mich mitten ins Gesicht und schlug
mich zu Boden. Die Hinterlassenschaft dieses Hiebs trage ich heute noch mit mir
herum: einen dunkelroten Fleck auf meiner linken Wange, in Umrissen und Größe
einem Apfel ähnelnd, der zumeist für ein Feuermal gehalten wird.
    So lag ich also da, weder fähig noch willens, mich
zu rühren, während der Präsident – triefend von giftiger grüner
Flüssigkeit – Richtung Tür und Außenwelt zurückwankte. Wie viel blinde,
sinnlose Zerstörung würde er anrichten, bis man ihm Einhalt gebot? In
Anbetracht der Tatsache, dass selbst eine leichte Berührung mit ihm unter
Umständen tödlich sein konnte, würde, so vermutete ich, die Opferbilanz hoch
sein.
    Womit ich nicht gerechnet hatte, war ein weiterer
Mann, ebenso tödlich wie der Alte.
    Später kam ich zu dem Schluss, dass ich wohl genau
in jenem Moment die Haupthalle erreicht haben musste, als sich der
Schlafwandler das letzte Schwert aus dem Bauch zog. Und als ich zu Boden
geschlagen wurde, war er aufgestanden, hatte sich den Staub von den Kleidern
geschüttelt und zu uns herübergeblickt.
    Der Präsident starrte den Schlafwandler an. Er
zeigte auf ihn und schrie etwas, das in diesem Moment wie »
Mein Gott!
«,
klang, obwohl ich mittlerweile darauf aufmerksam gemacht wurde, dass es etwas
ganz anderes hätte bedeuten können als ich glaubte.
    Grüne Säure verspritzend torkelte der Präsident
auf den Riesen zu und warf sich auf ihn. Geschwächt von seinem Martyrium war
der Schlafwandler im ersten Augenblick überrascht, doch dann schlug er
zurück – und zwar mit aller Härte.
    Da hörte ich hinter mir
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