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Das Albtraumreich des Edward Moon

Das Albtraumreich des Edward Moon

Titel: Das Albtraumreich des Edward Moon
Autoren: Jonathan Barnes
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das Geräusch von
stolpernden Schritten; Edward Moon tauchte neben mir auf, zweifellos mit der
Absicht, mich zum Duell zu fordern oder der Gerechtigkeit auszuliefern. Zum
Glück wurden wir beide von einem furchterregenden Anblick abgelenkt.
    Erstaunlicherweise schien die grüne Flüssigkeit
dem Schlafwandler ebenso schlimm zuzusetzen wie mir, und er verzog den Mund vor
Schmerz. Moon und ich konnten nichts anderes tun als zuzusehen. Es war, als
würden zwei Löwen um die Herrschaft über das Rudel kämpfen – nein, viel
mehr als das, viel gewaltiger: zwei urzeitliche Reptilien – Megalosaurier,
die auf einem prähistorischen Kampfplatz aufeinanderprallten –, zwei
eifersüchtige Götter, die um das Schicksal von Welten rangen.
    Doch dann wurden wir abgelenkt – selbst von
dieser haarsträubenden Szene: durch eine anfangs nur schwache Unruhe in der
Luft, Irrlichter und darauf einen wirbelnden, schimmernden Ausbruch von Farbe.
Und dann traten – kaum mehr als einen Schritt von jener Stelle entfernt,
an der Moon und ich erstarrt waren – die Präfekten in Erscheinung. In den
Händen trugen sie vier albern wirkende Dynamitstangen von der Sorte, wie man
sie in Witzzeichnungen sieht – dicke rote Walzen, deren riesige Lunten
Funken versprühten.
    Oh, ich weiß, Sie werden sagen, dass solche Dinger
unmöglich funktionieren könnten, denn
so
sehen Sprengstoffe nun
wirklich nicht aus! Dies sind bloß vereinfachte Darstellungen zum Zwecke
kindlicher Belustigung.
    Selbstverständlich haben Sie ein Recht auf Ihre
eigene Meinung, aber ich war dort und kann für ihre Wirksamkeit bürgen, als
Hawker oder Boon – einer von beiden, ich verwechsle sie andauernd – das
Dynamit mitten in den großen Raum schleuderte.
    Während die roten Stangen auf dem Boden lagen und
spuckten und spritzten, rannten die Präfekten unter laut gackerndem Gelächter
aus der Halle.
    Moon stolperte vorwärts, offenbar in der Hoffnung,
seinem Freund helfen zu können, doch dazu war es schon zu spät. Die erste
Dynamitstange ging in der gegenüberliegenden Ecke hoch und brachte mit
ohrenbetäubendem Krachen die halbe Decke zum Einsturz. Ich konnte die ganze
Struktur des Baus knirschen und ächzen hören, als sie langsam daranging, in
sich zusammenzufallen. Dicke Staubwolken nahmen uns fast die Sicht, doch soweit
ich es erkennen konnte, ignorierten der Riese und der Träumer das Geschehen
rund um sich und fuhren unbeirrt fort zu kämpfen.
    Ich schäme mich nicht zu gestehen, dass ich mich
zusammenriss und rannte – durch die Tunnel und hinaus auf die Straße. Ich
habe viele Fehler, aber wenigstens weiß ich, wann es Zeit ist aufzugeben.
    Mein letzter Blick zurück galt dem Schlafwandler
und dem Präsidenten – zwei ineinandergekrallten Monstrositäten, über denen
eine smaragdgrüne Wolke hing, während Moon hilflos danebenstand und zusah, weil
er nicht wusste, was er sonst tun könnte.
    Letztlich rannte er ebenso davon wie ich, doch ich
glaube, er blieb lange genug, um die zweite Explosion zu sehen. Später sollte
er behaupten, dass sich, noch bevor die große Halle vollends in sich
zusammenstürzte, die grüne Säure aus dem Körper des Präsidenten ins Gestein des
Untergrunds gefressen hatte, und dass die Kontrahenten daraufhin immer tiefer
ins Erdreich sanken wie in allesverschlingenden Treibsand. Er rief nach dem
Schlafwandler, doch der Riese kämpfte schweigend weiter, und Moon hatte keine
andere Wahl als die Flucht zu ergreifen. Ich frage mich manchmal, was er wohl
gerufen haben mochte, bevor alles einstürzte – welche letzten Worte aus
seinem Munde an den Hünen gerichtet waren, und ob dieser geantwortet und
schließlich doch noch gesprochen hatte.
    Ich weiß nur, dass Moon der letzten Explosion
knapp entkam. Hinter sich ließ er das Hauptquartier von
Love
, alles,
wofür ich gearbeitet hatte, für immer unter Schutt begraben. Ich bin froh, dass
ich nicht dabei sein musste, um das mitanzusehen.
    Zum zweiten Mal an diesem Tage stürzte
ich keuchend hinaus auf die Straße. Das Gemetzel war vorbei; Polizei, Sanitäter
und andere berufsmäßige Wichtigtuer stritten darüber, was mit all den Leichen
und der übrigen Schweinerei geschehen sollte. Selbst die Presse tat sich
bereits um.
    Als ich den ganzen Wirrwarr sah, glomm ein
Fünkchen Hoffnung in mir auf, mich doch noch in Sicherheit bringen zu können,
denn vielleicht konnte ich das Durcheinander nutzen, um mich davonzustehlen.
Aber dieses Glück war mir nicht vergönnt. Ich
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