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Das Albtraumreich des Edward Moon

Das Albtraumreich des Edward Moon

Titel: Das Albtraumreich des Edward Moon
Autoren: Jonathan Barnes
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gebracht, in ein Asyl, in dem der vermeintliche
geistige Zustand der Insassen auch mich der blutigen Hemmungslosigkeit des
Staates entzieht.
    An einem Ort wie diesem ist Zeit bekanntlich
schwer zu beurteilen, und so sind Tag und Nacht einzig an der veränderten
Ausgabe von Essen und Trinken zu unterscheiden. Gleich nach meinem Eintreffen
hier wurde ich allein weggesperrt – für wie lange? Tage? Wochen? Selbst
heute weiß ich es nicht.
    Es zeugt von meiner enormen Widerstandskraft, dass
ich selbst einer solchen Einzelhaft gewachsen war, ohne unter der Belastung
geistig zusammenzubrechen. Tatsächlich ging ich sogar gestärkt –
wenngleich zugegebenermaßen ziemlich einsam – daraus hervor. Ich bin von
geselligem Wesen, und es fiel mir auf, dass mir die Wärme des menschlichen
Umgangs und der Kameradschaft fehlte – der Klang einer Stimme, die nicht
von mir stammte. So wurde mir in der Folge unter strengen Auflagen gestattet,
Besuch zu empfangen.
    Ich gestehe, es überraschte mich
einigermaßen, dass er überhaupt kam.
    »Thomas Cribb«, sagte er und streckte
seine linke Hand (ohne Verband und mit fünf Fingern) über den Tisch. Einer der
Wärter beobachtete uns mit verschränkten fleischigen Armen und gehässiger Miene
von der anderen Seite des Raums aus.
    »Wir haben uns schon kennengelernt«, sagte ich.
    Etwas wie ein Lächeln huschte über sein Gesicht.
»Das kommt mir auch so vor.«
    Ich hatte nie zuvor Gelegenheit gehabt, den Mann
aus der Nähe zu betrachten, und kann nicht deutlich genug unterstreichen, wie
erstaunlich auffallend seine Hässlichkeit war, wie unleugbar abstoßend.
    »Was wollen Sie?«, fragte ich.
    »Ich möchte Ihnen ein Versprechen geben.«
    Ich bemerkte, dass er eine Zeitung mitgebracht
hatte, und konnte einen Blick auf die Schlagzeile werfen – ein Bericht,
wie mir schien, über jüngst stattgefundene Vorfälle unter dem Monument. Ich sah
meinen eigenen Namen und darunter ein geradezu beleidigendes Porträt meiner
Person.
    Cribb beugte sich über den Tisch zu mir. Die
Bewegung war dem Wärter nicht entgangen, und er griff instinktiv nach dem
Knüppel, der an seinem Gürtel hing.
    Der hässliche Mensch durchbohrte mich mit seinem
Blick. »Ich lege keinen Wert auf eine Bedrohung meiner Stadt«, sagte er.
    »
Ihre
Stadt?«
    »Ich verspreche Ihnen, alles in meiner Macht
Stehende zu tun, um Ihnen Einhalt zu gebieten. Ich helfe diesem …« Er warf
einen kurzen Blick auf die Zeitung, wie um eine nebensächliche Einzelheit zu
prüfen, »… diesem Edward Moon. Ich werde ihm zeigen, wie er Ihnen einen
Strich durch die Rechnung machen kann.«
    Ich gähnte. »Tut mir leid. Ich kann Ihnen nicht
folgen.«
    »Ich werde ihn führen. Und ihn benutzen, um
sicherzustellen, dass Sie keinen Erfolg haben.«
    Ich grinste dem Wärter zu. »Vielleicht sollte
dieser Mann auch hier bei uns zu Hause sein«, witzelte ich und stellte
zufrieden fest, dass der Mann als Antwort darauf feixte.
    Ich habe mir ein gutes Verhältnis zu den Wärtern
aufgebaut, und ich glaube, sie finden Gefallen an mir; außerdem bin ich sicher,
etliche von ihnen wissen, dass ich in Wahrheit nicht hierher gehöre (doch
sollten sie das laut aussprechen, würden sie vermutlich ihren Posten
verlieren).
    Mein Besucher erhob sich. »Nebenbei gesagt«, warf
er mir noch hin, »Sie finden nicht Eingang in die Geschichte.«
    Ich ließ mich nicht dazu herab, auf diese letzte
kindische Stichelei zu antworten, und Thomas Cribb ging schweigend davon.
    Rückblickend betrachtet hätte ich wohl mehr sagen
sollen, hätte ihn zum Weiterreden ermuntern sollen, um mehr über seine
Behauptungen herauszufinden. Doch wie die Dinge lagen, sah ich ihn nie wieder.
    Ehrlich gesagt empfinde ich dies nicht als großen
Verlust. Der Mann hatte stets etwas verdammt Selbstgefälliges an sich.
    Eine Woche verging, ehe ich meinen
zweiten Besucher empfing (ich sage ›eine Woche‹, es könnten natürlich ebensogut
zwei Wochen oder ein Monat gewesen sein). Sie werden es merkwürdig finden, und
mich hat es damals genauso überrascht, doch selbst nach allem, was er mir
angetan hat, war ich tatsächlich irgendwie erfreut, ihn zu sehen.
    »Edward!«, sagte ich.
    Für einen Mann, der so viel mitgemacht hatte, sah
er gut aus; ein bisschen älter vielleicht und grauer. Etwas von seinem
großspurigen Auftreten und seiner Eitelkeit hatte er abgelegt, und seine
arrogante Selbstsicherheit war hinreichend durchlöchert. Alles in allem hielt
ich es für eine Verbesserung.
    Wir
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