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Das abartige Artefakt

Das abartige Artefakt

Titel: Das abartige Artefakt
Autoren: Christian von Aster
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wie grober, unbehauener Fels und gestattete es seinem Träger, zu einem Teil der Wände zu werden.
    Der Meisterdieb schaute auf die Sanduhr. Bis zur Rückkehr der Patrouille blieben ihm noch ein paar Schläge Zeit. Er schloss die linke Faust fester um den kalten Körper des Steinschlingers. Mit einem leisen Ploppen löste sich dessen rundes, zahnloses Maul von der Felsdecke. Nattergriff schob den Arm nach vorn und drückte den dunkelblauen Käfer wieder an die Decke, wo dieser sich erneut festsaugte. An der Stelle, wo der Speichel des Tiers den Stein angelöst hatte, blieb nur ein leicht verfärbter Abdruck seines Mauls zurück.
    Der Dieb bewegte zunächst den Steinschlinger in seiner rechten Faust, dann nacheinander die an seinen Füßen. Er hatte die Beine der Tiere mit dünnen, starken Lederschnüren sorgfältig an Handschuhen und Stiefeln festgeknotet, sodass sie sicher saßen. Der Meisterdieb hätte sich in jeder Höhe auf sie verlassen können. Zumindest auf die abgerichteten Steinschlinger, die er einstmals besessen hatte. Aber die waren fort gewesen, als er nach all der Zeit wieder ihren Käfig geöffnet hatte. Sie hatten sich durch die Rückwand gefressen und waren einfach abgehauen.
    Die ganze Bestecherei hatte ihn ziemlich aus der Übung gebracht. Er hatte die Leute immer nur bezahlt, anstatt sie auszutricksen. Dabei war er der Beste. Das sagte man jedenfalls allenthalben. Und wahrscheinlich stimmte es auch. Die Legenden zwergischer Meisterdiebe waren allerdings dünn gesät. Und von den wenigen, die kursierten, handelte der größte Teil eben vom großartigen Nattergriff, der sein Handwerk von keinem Geringeren als Schnappsagk Silberkies gelernt hatte, seinem Oheim, dem Vater aller Gauner, dem Ahnherrn des Zwergischen Zwielichts { * } . Silberkies zufolge unterschied ein Dieb sich kaum von einem ehrlichen Schürfbruder. Statt aus Felswänden baute er das Gold lediglich aus den Taschen seiner Mitzwerge ab, wofür es aber mindestens ebenso gutes Werkzeug, Talent, Geduld und Meisterschaft wie für ein ehrliches Handwerk brauchte. Sein Antrag, deshalb alle Gauner des Imperiums in einer ehrbaren Gilde zu vereinen, war beim Großen Verwalter allerdings auf taube Ohren gestoßen. Nicht zuletzt, weil Silberkies und seine Leute ihm kurz zuvor, während des smaragdenen Zeitalters, als Beweis ihrer Kunstfertigkeit die Insignien seiner Macht – die Krone vom Anfang der Zeiten, das Hammerzepter der Altvorderen und den Humpen der Götter – aus der innersten Schatzkammer gestohlen hatten.
    Der Große Verwalter war davon so beeindruckt gewesen, dass er die Stählerne Garde ausgeschickt hatte, um den bedingt geheimen Unterschlupf der Diebe zu stürmen und das gesamte ehrbare Diebespack samt Silberkies in die Felsverliese von Vorrngarth zu werfen. Dort war Schnappsagk Silberkies irgendwann am graugrünen Bartspliss gestorben, und die restlichen Diebe, die noch am Leben waren, beschäftigten sich seit fünfhundert Jahren damit, die Schlösser ihrer Fußfesseln zu knacken.
    Bragk Nattergriff war damals nicht unter den Verdammten von Vorrngarth gewesen. Ebenso wenig wie sein Bruder Felsigk Klammgluth. Und das hatte nicht nur etwas mit Glück zu tun gehabt. Nattergriff war ein vorausschauender Zwerg. Und war es immer gewesen. Ebenso wie Klammgluth hatte er gewusst, was Silberkies und seinen Leuten drohte. Darüber aber sprach er nur ungern.
    Zumal er ohnehin nur selten sprach. Und seltener noch ohne Verkleidung. Die meisten seiner wenigen Gespräche führte er als ein anderer. Denn er war der Zwerg mit den tausend Bärten, der Erste Erhabene Entwender, der beste Dieb des Ehernen Imperiums, eine lebende Legende.
    Und er war fett geworden…
    Das merkten auch die Steinschlinger. Diese hier waren nicht ausreichend trainiert. Er hatte sie erst vor wenigen Schichten gefangen und sie noch nicht an sein Gewicht gewöhnen können. Ohne dass der Dieb ihn gedrückt hätte, löste sich einer der Käfer plötzlich mit leisem Schmatzen von der Decke und hing nunmehr leblos in der Hand des Meisterdiebes. Nattergriff presste einen kaum hörbaren Fluch zwischen den Zähnen hervor.
    Aus dem angrenzenden Gang hörte er bereits die energischen Schritte der zurückkehrenden Felswehrgardisten. Er drückte sich eng an die Decke und versuchte sich so leicht wie möglich zu machen. Doch es nutzte nichts. Im nächsten Moment hörte er ein schmatzendes Geräusch an seinem linken Fuß. Der zweite Steinschlinger hing schlaff von seinem Stiefel herab,
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