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Das abartige Artefakt

Das abartige Artefakt

Titel: Das abartige Artefakt
Autoren: Christian von Aster
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zusammen die Faust und die Stimme der Götter gewesen.
    Nun aber war es bloß noch die Faust, die sprach.
    Und die Stimme musste sich ihr beugen.
    Und darum hatte der Alleroberpriesterlichste, als er von der Audienz in seine Höhle zurückkehrte, das Gefühl, als sei das Eherne Imperium längst untergegangen…
    Er hatte seinen Sinn und seine Bestimmung verloren, war wertlos geworden, ein leerer Stollen, ein nacktes Stück Fels, aus dem alles Bedeutsame herausgebrochen zu sein schien.
    „Herr?“
    Der Höchste schrak aus seinen Gedanken hoch.
    Hinter ihm stand sein zweibeiniges Gedächtnis und reichte ihm demütig seinen Tabaksbeutel und die Pfeife.
    Ein Lächeln stahl sich unter seinen Bart. Doch es war ein bitteres Lächeln. Der letzte Trost eines Nutzlosen.
    Seit dem Verstummen der Götter hatte der höchste der Priester begonnen, in den dunklen Stunden eine Mischung aus Bleichbrand, Schattenknorpel und Käferkopf zu rauchen, die gemeinhin als Steinschmauch bekannt war. Während Bleichbrand in der zwergischen Medizin Verwendung fand, war Schattenknorpel ein Rauschkraut und Käferkopf das beste Mittel, um ein Tier mittlerer Größe einzuschläfern. Der Mischung sagte man nach, dass sie einen Zwerg die Seele des Steines lehrte. Schlussendlich bedeutete das nichts anderes, als dass einer, der sie rauchte, in der Ecke lag und nichts mehr tat, dachte oder wollte.
    Der Große Verwalter duldete nicht nur, dass sein höchster Priester regelmäßig unter diesem Rauch versteinerte, sondern schickte ihm diesen Tabak sogar. Der Steinschmauch war ein Geschenk. Gemischt im Auftrag des Verwalters von keinem Geringeren als Staubboldt Stockbruch, dem obersten Rauchmeister der Zwerge. Der Allerüberhöchste war seinem Herrn dankbar für diese Ahnung steinernen Friedens, die ihn vergessen ließ, was aus ihm geworden war: der Schoßkäfer des Großen Verwalters…
    Die Drogen waren das Einzige, was den alten Priester noch aufrecht hielt.
    Schweigend nahm er seinem Gedächtnis Pfeife und Tabak aus der Hand. Er spürte das Alter, wie nur ein Tausendjähriger es konnte. Den Gram, den nur einer kannte, der die Götter sprechen und verstummen gehört hatte.
    Mit zitternden Fingern versuchte der Priester, den Steinschmauch in die Pfeife zu stopfen, doch sie entglitt ihm, fiel zu Boden und zersplitterte in tausend Stücke.
    Die Augen des Alten füllten sich mit Tränen.
    Sein Gedächtnis eilte zu einem steinernen Regal, holte eine neue Pfeife hervor, stopfte sie und reichte sie seinem Herrn mit gesenktem Bart.
    „Ich habe mir erlaubt, Herr, Euch heute für den Geschmack noch ein wenig Gottkraut in den Tabak zu mischen.“
    Der Hohepriester war tief gerührt. Gottkraut war überaus selten und wuchs schon lange nicht mehr in den Grenzen des Imperiums. Man sagte ihm sogar geheimnisvolle göttliche Kräfte nach. Das Gedächtnis war wahrlich der treueste Zwerg, den ein Hohepriester sich wünschen konnte. Mit tränennassen Augen griff der Alte nach der Pfeife und nahm einen dankbaren Zug.
    Sein Gedächtnis verneigte sich, wandte sich ab und kehrte die Reste der geborstenen Pfeife zusammen. Dann schüttete es sie in einen nahen Unratschacht { * } und zog sich schweigend in seine Ecke zurück.
    Der Allerpriesterlichste sog den bitteren Rauch tief in seine Lungen. Wahrhaft, das Gottkraut gab der Mischung einen noch angenehmeren Geschmack. Ein dünner Schleier legte sich über seine Augen, als der Bleichbrand den Weg in sein Blut fand.
    Den Rest Rauch blies er in die Luft hinaus, und im Licht der Käfer schien es für einen Moment, als würde sich der Rauch mit seinem weißen Bart mischen. Träge wankte der Höchste zu seinem Lager hinüber, ließ sich in die dunkelbraunen Käferlederkissen sinken, um die wilden Visionen zu genießen, die der Schattenknorpel hervorrief, danach den schweren Schlaf des Käferkopfes und schließlich das Wesen des Steins selbst.
    Er lehnte sich in die Kissen und schloss die faltigen Augen. Der herbe Duft gegerbter Käferhaut mischte sich mit dem strengen Geruch des Steinschmauchs, und der Höchste war nur allzu bereit, ein weiteres Mal Stein zu werden.
    Oder besser, er glaubte, es zu sein.
    Denn was folgte, waren keineswegs die wirren bunten Bilder des Schattenknorpels. Und auch nicht die Allmachts- und Gewaltfantasien, die manchmal mit dem Konsum von Bleichbrand einhergingen.
    Zumindest nicht nur.
    Das, was folgte, war etwas, wofür der Alleroberpriesterlichste keineswegs bereit war. Kurz bevor der von Rauschkraut
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