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DAS 5. OPFER

DAS 5. OPFER

Titel: DAS 5. OPFER
Autoren: Jennifer McMahon
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sie: »Deine Mutter braucht dich.«
    Reggie schob ihr Haar zurück, ihre Finger fanden die Narben. »Okay«, sagte sie.
    Nach Hause. Sie kehrte wieder nach Hause zurück.

2 1976 – Brighton Falls, Connecticut
    REGGIES FRÜHESTE ERINNERUNG an ihre Mutter begann damit, dass ihre Mutter ein Ei auf den Kopf stellte, und endete damit, dass Reggie ihr Ohr verlor.
    Sie war fünf Jahre alt, und ihre Mutter hatte sie mit zu einer Bar an der Flughafenstraße genommen. Reggie drehte sich auf einem roten Vinylhocker, es gefiel ihr, an ihrem eigenen Trick zu arbeiten, während ihre Mutter ihren für irgendeinen Neuankömmling aufführte, der ihr versprochen hatte, ihr einen Drink zu spendieren, wenn sie es hinkriegte. Reggie drehte sich herum und herum, schlug ihre Beine bei jeder Drehung sanft gegen die ihrer Mutter, vermied dabei sorgfältig Augenkontakt mit dem Kerl zu ihrer Linken, mit dem ihre Mutter die Wette abgeschlossen hatte. Er war ein dunkelhäutiger Mann mit vorstehenden Augen, der Öl in seinen Haaren hatte und eine dünne Lederjacke trug, die sich nicht richtig zuknöpfen ließ. Seine Nase hatte einen Höcker, eine leichte Drehung, als wäre sie einmal zu oft gebrochen worden. Der Boxer, nannte Reggie ihn, sagte die Worte nicht laut, sondern in ihrem Kopf.
    Der Boxer nannte Reggie »Champ« und zwinkerte dem Mädchen mit einem seiner froschartigen Augen hinter dem Rücken ihrer Mutter zu, während Vera damit beschäftigt war, Salz auf die Bar zu streuen.
    Der Schlüssel zu dem Trick bestand darin, dem Ei etwas zu geben, das ihm Halt gab, worin es ruhen konnte.
    REGGIES MUTTER, VERA DUFRANE, die den Eiertrick perfektioniert hatte, wies eine verblüffende Ähnlichkeit mit Jayne Mansfield auf – vollbusig, mit einem Kopf voller dicker platinblonder Haare, das sich über ihre anmutigen Schultern ergoss. Sie war Abschlussballkönigin gewesen und 1969 nach der Highschool nach New York City gegangen, um eine Schauspielkarriere zu verfolgen. Um ihre Rechnungen besser bezahlen zu können, während sie kleine Rollen in Off-Broadway-Stücken spielte, begann sie zu modeln. Beinahe sofort wurde sie das Aphrodite-Cold-Cream-Girl. Ihr Bild erschien in Magazinen und Kaufhäusern im ganzen Land. Pflegen Sie sich wie eine Göttin, lautete der Slogan. Ihr plötzlicher Ruhm brachte ihr mehr Arbeit als Schauspielerin, inklusive ihrer ersten Hauptrolle seit ihren Tagen als Star des Schauspielclubs der Brighton Falls Highschool.
    Doch gerade als ihre Karriere in Gang kam, kehrte Vera im Vorfrühling 1971 abrupt nach Brighton Falls zurück, zog wieder in das große und seltsame Haus ihrer Kindheit, Moniques Wunsch, zu ihrer Schwester Lorraine (die sechs Jahre älter war als sie) und ihrem Vater, André Dufrane. Bei André war ALS diagnostiziert worden, während Vera in New York war, und zu dem Zeitpunkt, als sie zurück in das Haus zog, befand er sich ein einem Zustand stetigen Verfalls. An ihrem ersten Abend zu Hause machte sie am Esstisch eine überraschende Ankündigung.
    »Ich bin schwanger. Das Baby kommt Ende Juli.«
    Ihr Vater und ihre Schwester, zu geschockt um zu sprechen, starrten sie nur an.
    »Kannst du mir bitte die Brötchen rüberreichen?«, fragte Vera.
    »Wer ist der Vater?«, wollte André wissen und schob seinen unberührten Teller mit Essen von sich.
    »Er ist niemand«, sagte Vera.
    André schüttelte zitternd den Kopf. »Was für eine Art, ein Kind in die Welt zu bringen. Als Niemand Junior.«
    André hatte Moniques Wunsch für seine Frau gebaut, die immer in einem Schloss hatte wohnen wollen. Er brauchte zehn Jahre, um das Haus fertigzubauen, da er die meiste Arbeit allein tat und kein Maurer oder Tischler war. André reparierte Schuhe. Ein Schuster am Tag, ein Schlossbauer am Abend. Monique selbst starb, bevor das Schloss fertig war, an Komplikationen nach Veras Geburt.
    Vera sagte als Teenager und Erwachsene oft, dass Moniques Wunsch eher wie der Name eines Rennpferdes klang als wie der eines Hauses.
    »Ein echter Schuss ins Blaue«, sagte sie. »Lausige Gewinnchancen.«
    Davon abgesehen, dass es aus Stein gebaut war, hatte das Haus wenig Ähnlichkeit mit einem Schloss. Es gab keinen Graben, keinen Turm oder Zinnen. Es hatte einen ausgedehnten, wirren Grundriss, der sich über zwei Etagen erstreckte und von einem Giebeldach, gedeckt mit Schiefer, gekrönt wurde. Die nicht isolierten Steinwände hielten ganz schlecht die Wärme, und das Haus war den größten Teil des Jahres dunkel und kalt. Vera fröstelte
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