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DAS 5. OPFER

DAS 5. OPFER

Titel: DAS 5. OPFER
Autoren: Jennifer McMahon
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Daunendecke. Sie zog sich schnell ein Paar Jeans und einen Pullover über und ging hinunter zur Küche, mit nackten Füßen, die sich auf dem Holzfußboden kühl anfühlten.
    Sie hatte das Haus so angelegt, dass sie aus fast jedem Blickwinkel eine Aussicht auf den See hatte. Als sie die Treppe hinablief, hatte sie die große Fensterfront an der Südseite vor sich, die auf ihren Garten und ihre Wiese hinaus und hinab zum Arrow Lake ging. Es war etwas mehr als eine halbe Meile von ihrem Haus bis zum Rand des Sees, doch wenn sie die Treppen hinabkam, hatte sie da Gefühl, sie könnte einfach in die Luft hinaustreten und durch das Wohnzimmer schweben, durch die Fenster, über den Garten und das Feld und hinunter zum See. Manchmal erwischte sie sich dabei, dass sie es beinahe versuchte – sich ein bisschen zu weit vorlehnte, ihren Fuß zu weit nach vorn setzte, sodass sie beinahe die nächste Stufe nach unten verfehlte. Das waren die Momente, die ihren Erfolg als Architektin klarstellten, nicht die Preise, die Auszeichnungen oder die Wertschätzung ihrer Kollegen, sondern die Art, ihre Treppe hinunterzugehen, die sie – nur für eine Sekunde – glauben ließ, dass sie sich in ein Stückchen Löwenzahnflaum verwandeln und zum See hinabschweben könnte.
    Damit ein Gebäude ein Erfolg wurde, musste es auf eine nahtlose Art mit der Landschaft verbunden sein. Es konnte nicht einfach aussehen, als wäre es dort zufällig abgestellt worden, sondern als wäre es dort organisch gewachsen, von Wind und Regen geformt, aus den Bergen geschnitten worden. Die Räume sollten nicht nur ineinanderfließen, sondern auch in die Welt jenseits des Hauses.
    Das 4 Walls Magazine hatte Reggie gerade zu einer der besten grünen Architektinnen des Nordostens ernannt und das Schneider/Wellenstein-Haus, das sie in Stowe entworfen hatte, aufgezählt als »ein atemberaubendes Beispiel, Architektur in die Natur zu integrieren. Mit dem Fluss, der durch das Wohnzimmer fließt, und der 120 Jahre alten Eiche, die durch alle drei Stockwerke wächst, hat Dufrane eine nachhaltige Behausung geschaffen, die die Grenzen zwischen drinnen und draußen verwischt.«
    Die Grenzen verwischen. Das war es, worin Reggie gut war – drinnen/draußen, alt/neu, funktional/ornamental – sie hatte eine Gabe dafür, unwahrscheinliche Ideen und Objekte zu verbinden und etwas zu erschaffen, das irgendwie beides und keines von beiden war, etwas, das größer war als die Summe seiner Teile.
    Mit immer noch benebeltem Kopf und mit einem dringenden Bedürfnis nach Koffein spülte Reggie den kleinen Edelstahl-Espressobereiter aus, füllte ihn dann mit Wasser und Kaffee, setzte ihn auf den Gasherd und drehte den Knopf, um die Flamme zu entzünden. Ihre Küche war der Traum eines jeden Kochs (obwohl Reggie ehrlich gesagt nicht viel kochte und sich größtenteils von rohem Gemüse, Käse und Kräckern und Espresso ernährte) – bis zu der riesigen, die Arbeitsfläche einnehmenden italienischen Espressomaschine, die Reggie nur benutzte, wenn sie Gäste hatte. Sie zog die kleine Kanne für den Herd vor, die sie seit ihrer Collegezeit besaß. Sie war einfach zu bedienen und von ruhiger Eleganz – der Inbegriff guten Designs.
    Das Wasser erreichte den Siedepunkt. Der Kaffee blubberte und erfüllte die Küche mit seinem intensiven, erdigen Duft.
    Reggie sah auf ihre Uhr: 7.15 h. Sie würde zum Büro hinausgehen, ein wenig Brainstorming für das neue Projekt machen, einmal um den See laufen, duschen und dann ein paar weitere Skizzen machen. Sie blickte wieder auf ihre Uhr, erwischte sie dabei, wie sie auf 7.16 h umsprang.
    Stell dir vor, dein Haus steht in Flammen. Du hast genau eine Minute Zeit, um mitzunehmen, was du kannst. Wofür entscheidest du dich?
    Reggie blickte sich im Haus um, fühlte, wie die alte Panik in ihr aufstieg. Dann atmete sie ein und antwortete ihrer alten Freundin laut: »Nichts, Tara. Ich entscheide mich für nichts.« Ihre Brust lockerte sich. Muskeln entspannten sich. Tara hatte nicht mehr diese Art von Macht über sie.
    Reggie war nicht mehr dreizehn. Sie wusste, dass Dinge ersetzt werden konnten. Und allzu viel besaß sie auch nicht. Das Haus zu verlieren, wäre ein niederschmetternder Schlag, aber es könnte neu aufgebaut werden. Sie besaß sehr wenige Möbelstücke. Ihr Kleiderschrank war nur halbvoll. Ihr Gelegenheitsfreund Len neckte sie: »Es ist nicht normal für eine erfolgreiche Erwachsene, in der Lage zu sein, alles, was sie besitzt, in den hinteren
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