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DAS 5. OPFER

DAS 5. OPFER

Titel: DAS 5. OPFER
Autoren: Jennifer McMahon
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Boden warf und dort festhielt, indem er sein volles Gewicht und seine beiden riesigen Pfoten auf Reggies Brust legte.
    Der Zement war kühl. Kiesig. Kleine Risse verliefen in ihm wie Verwerfungslinien, als hätte es tausend kleine Erdbeben hier oben auf diesem Balkon gegeben, alle verursacht von diesem Hund, der kleine Mädchen auf den Boden schleuderte. Die Zeit dehnte und verlangsamte sich (ein Knetgummi-Moment, würde sie es später nennen) und Reggie war in der Lage, die kleinsten Einzelheiten ihrer Situation wahrzunehmen. Sie hatte sich mit der Tatsache abgefunden, dass der Hund sie töten würde, aber sie wusste nicht, wie der Tod sein würde, nur dass ihm dies vorausgehen würde: dieses kleine Zeitfenster, in dem Dinge sich in Zeitlupe bewegten und ihre Sinne auf Hochtouren liefen, alles aufnahmen, weil es ohne Zweifel ihre letzte Chance war, das Leben auf der Erde zu erleben, einschließlich des rauen, rissigen Zements.
    Instinktiv drehte sie ihr Gesicht weg, als die Zähne auf sie zukamen. Es fühlte sich an, als hätte der Hund ein Loch in die Seite ihres Kopfes gerissen – da war ein schneidender Schmerz und stickige Hitze, zusammen mit einem Schwall heißen, nach verfaultem Fleisch riechenden Atems auf ihrem Gesicht.
    Sie schloss ihre Augen – sicherlich nur für einen Augenblickund betete zu Gott, was man, wie sie wusste, tun sollte, wenn man in einer derart ernsten Notlage war, ihre Tante Lorraine hatte ihr das beigebracht. Doch damit Gott durchkommen konnte, erklärte Lorraine, musste man glauben, und Reggie hatte bis zu diesem Zeitpunkt nicht viel an Gott gedacht. Doch sie versuchte es trotzdem, stellte sich einen Mann mit weißem Bart vor, der in den Wolken schwebte. Der Gott, den sie sich vorstellte, sah so ziemlich wie das Foto ihres Großvaters aus, das im oberen Flur hing: ein streng blickender Mann in einem Flanellhemd und Watstiefeln für Fischer.
    Als Reggie ihre Augen öffnete, fand sie ihren Retter nicht in der Form eines mageren, in Gold gekleideten, großvaterartigen Gottes, sondern in der ihrer Mutter, die ihre Hände in das dicke schwarze Fell am Hals des Hundes grub und » BAASTAARD !« schrie. Vera trug nur seidene Höschen und einen Spitzen-BH und sah für Reggie aus wie eine blonde, vollbusige Wonder Woman. Der Hund wandte sich von Reggie ab und versenkte seine gelben Zähne in Veras blasse Hand. Sie stieß einen kehligen Schrei aus und schlug ihm mit ihrer linken Hand auf die Nase. Sein Kiefer entspannte sich vor Überraschung, und sie riss ihre verletzte rechte Hand mit einem schrecklichen, nassen Geräusch los und ergriff ihn noch einmal. Dieses Mal hob sie den Hund – diesen großen Bären von einem Hund – siebzig Pfund zähnefletschender Köter – und drehte ihn, als würden sie tanzen, dann ließ sie los. Der Hund flog über die niedrige Betonwand des Balkons und beendete sein Leben vier Stockwerke tiefer mit einem letzten Aufjaulen.

3 16. Oktober 2010 – Rockland, Vermont
    ICH HABE GERADE an dich gedacht«, sagte Len, als er an sein Mobiltelefon ging, seine Stimme war gedämpft und heiser. Er hatte diese Art, alles, was er zu ihr sagte, wie ein Geheimnis klingen zu lassen.
    »Unreine Gedanken, schätze ich«, riet sie.
    »Immer«, neckte er sie, seine Stimme wurde leise, strahlte eine Wärme aus, die sie direkt in den Solarplexus traf und sich nach unten ausbreitete.
    Hinter ihm hörte sie das dumpfe Murmeln von Gesprächen, das Klirren von Tassen und Tellern. »Hey, hör mal, ich bin gerade mit dem Frühstück drüben im Hungry Mind fertig, und ich dachte, ich könnte vorbeischauen. Dich vielleicht zu einer Wanderung und einem Picknick-Mittagsessen oben am Owl’s Head verleiten.«
    Sie erlaubte sich eine Sekunde lang, es sich vorzustellen, sie und Len in den Wäldern, er mit einem Rucksack voller Chardonnay, Brie und Baguette. Sie würden ihre Skizzenblöcke mitnehmen, ein paar Wasserfarben. Einen ungestörten Ort finden, wo sie die Picknickdecke ausbreiten konnten.
    »Ich dachte, wir sollten über das reden, was letzten Freitagabend passiert ist«, sagte Len und zerschmetterte damit Reggies romantische Vorstellungen.
    »Oh?«, hörte Reggie sich sagen.
    »Ich habe gespürt, dass die Dinge sich verändert haben. Vielleicht bilde ich es mir nur ein, aber es scheint mir, als würdest du dich zurückziehen. Wir haben seitdem kaum miteinander gesprochen.«
    Mist. Reggie wollte das jetzt nicht durchgehen. Zwischen ihnen hatte es immer diese spielerische Leichtigkeit
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