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Dark Love

Dark Love

Titel: Dark Love
Autoren: Lia Habel
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Ich half Pamela dabei, ihren Koffer den Gang entlang, die geschwungene Vordertreppe hinab und durch die mit Schnitzereien verzierten Holztüren zu tragen. Tante Genes Kutsche war ein unauffälliges V -Modell, das im Vergleich zu den anderen Fahrzeugen auf der ringförmigen Auffahrt eher schlicht wirkte. Als wir Pams Koffer schließlich abgesetzt und unsere vom Wind verrutschten Hauben wieder zurechtgerückt hatten, war Tante Genes Teilzeitchauffeur Jorge Alencar bereits auf einen Parkplatz gefahren und kam über den Rasen auf uns zu.
    »Miss Dearly, die letzten Monate ohne Sie waren lang«, sagte er warm. Er war ein großer Mann in den Fünfzigern mit sonnengegerbter Haut und schütterem grauem Haar. »Miss Roe, es ist mir ebenfalls eine Freude, Sie zu sehen. Ich werde die Koffer zum Wagen bringen, wenn die jungen Damen es sich dort schon einmal bequem machen möchten.«
    »Danke. Sie stehen in dem Alkoven mit dem schmalen Fenster dort drüben.« Nachdem sie diese Anweisungen erteilt hatte, hakte sich Pamela bei mir unter und zog mich in Richtung der Kutsche. Ihre Familie besaß überhaupt kein Fahrzeug und deshalb freute sie sich immer auf eine Kutschfahrt. Ich verstand nur nicht ganz, warum, da sie gewöhnlich doch schon beim Anrollen einschlief.
    »Also, versuchen wir mal, uns auf die Ferien einzustellen«, begann sie.
    »Da gibt es nicht viel, worauf man sich einstellen müsste«, behauptete ich. »Jeden Tag die gleiche …«
    Pam sah mich streng an und fuhr fort, als hätte ich sie nicht unterbrochen. » Ich finde, wir sollten uns etwas Lustiges vornehmen, eine Party vielleicht. Wir könnten Cracker machen, Spiele spielen, eine Münze in einem Pudding verstecken und so. Wir könnten meine Cousinen dazu einladen …«
    »Ah, Miss Dearly, Sie scheuen wirklich keine Mühen, um Menschen in Not zu helfen«, kommentierte eine wohlbekannte Stimme hinter uns.
    Pam vergaß den Rest ihres Satzes. »Nora«, zischte sie mit warnendem Unterton, als ich abrupt anhielt.
    Meine Finger schlossen sich fester um ihr Handgelenk, ich musste mich nicht erst umdrehen, um zu wissen, wer da sprach.
    »Miss Mink.«
    »Ganz genau. Wie scharfsinnig von Ihnen.«
    Mir war nicht nach ihren Spielchen zumute, aber ich drehte mich trotzdem um. Dort stand die blond gelockte Vespertine Mink, eine der beliebtesten und mächtigsten Schülerinnen des Internats, und betrachtete uns wie interessante Insekten. »Was gibt’s?«
    Sie warf mir ihr kleines, beißendes Lächeln zu und neigte in schwacher Nachahmung einer höflichen Geste den Kopf. »Ich wollte Ihnen nur mitteilen, wie wunderbar es ist, zu sehen, wie eine unserer besten und begabtesten Schülerinnen den vom Schicksal weniger Begünstigten buchstäblich die Hand reicht.« Sie richtete ihre Augen auf Pam und öffnete leicht den Mund wie vor Erstaunen. »Oh, vergeben Sie mir, Miss Roe. Ich habe Sie gar nicht erkannt.«
    Pamela hielt den Kopf trotz dieser Beleidigung hoch erhoben. »Miss Mink.«
    »War’s das, Mink?«, fragte ich. Vespertines Augen trafen meine. Ich wollte ihren Blick auf mich konzentrieren. Pamelas Platz an dieser Schule wurde von einer gemeinnützigen Stiftung finanziert, sie war eine Stipendiatin. Ich tat, was ich konnte, um sie vor jedweder Form von Gemeinheit abzuschirmen. Die Fähigkeit zum geschickten Taktieren, die den meisten der vornehmen Mädchen in St.   Cyprian in die Wiege gelegt zu sein schien, ging uns beiden völlig ab. Allerdings musste Pamela, im Gegensatz zu mir, darauf achten, was die Leute von ihr hielten.
    »Noch nicht ganz, Dearly.« Sie kam noch einen Schritt näher. Auch sie hatte ihre wollene, türkis-grau gestreifte Monstrosität von einer Schuluniform abgelegt und trug nun ein Turnürenkleid aus smaragdgrüner matter Seide. Der modisch geraffte Saum strich flüsternd über das Gras. »Ich möchte Ihnen außerdem noch eine gute Nachricht überbringen.«
    »Ach? Dann aber schnell, wir haben es eilig … und es tut mir leid, Ihnen sagen zu müssen, dass Sie heute offenbar nicht ganz in Hochform sind.«
    »Miss Mink?«, fragte Pamela leise.
    Vespertine lächelte wieder. »Wussten Sie schon, dass meine Mutter im nächsten Monat der Schulkommission beitritt?«
    Mit offenen Drohungen konnte ich umgehen. Ich hob das Kinn. »Tatsächlich? Wie interessant. Und ist Lady Mink genauso boshaft, wie Sie es im Allgemeinen sind? Ich bin gerne vorbereitet, wenn ich Menschen zum ersten Mal treffe – besonders Menschen, die vorgeben, wichtig zu sein.«
    »Miss
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