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Dark Love

Dark Love

Titel: Dark Love
Autoren: Lia Habel
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unsere.
    Pam lehnte still an den dunklen Holzpaneelen des Ganges. Ich beschäftigte mich, indem ich einen perlmuttfarbenen Eingabestift über den Bildschirm des digitalen Notizbuches auf meinem Schoß zog. Ich arbeitete an meinem Abschlussaufsatz in Geschichte. Beim Schreiben zog ich die Schultern hoch, eine Angewohnheit, die mir meine Mutter nie hatte austreiben können.
    Nora Dearly , notierte ich oben auf die Seite. 17.   Dezember 2195. Hausarbeit Nummer 14. Frühneuviktorianische Geschichte.
    »Wie fühlt es sich an, wieder Farbe zu tragen?«, fragte Pamela.
    Die unerwartete Frage hallte in meinem Kopf wider wie ein Pistolenschuss. Ich ließ die Schultern fallen und der Stift stand still. Ich sah an dem hochgeschlossenen Kleid aus rotem Taft hinunter, das ich auf Pamelas Drängen vor ein paar Stunden hin angezogen hatte. Sie hatte es für mich ausgesucht – tatsächlich hatte sie auch meinen Koffer mit all meinen schwarzen Trauerkleidern gepackt, meine weißen Taschentücher ausgelüftet und die schwarzgeränderten versteckt. Sie hatte getan, was sie konnte, um mir den Übergang zu erleichtern. Wenn es darum ging, Dinge zu organisieren und sich um andere zu kümmern, war Pamela die geborene Mutter – sie war unglaublich effektiv und dabei völlig unauffällig. Heute war seit dem Tod meines Vaters ein Jahr und ein Tag vergangen und meine Trauerzeit war vorüber.
    Zumindest äußerlich.
    Ich konnte nun wieder bunte Sachen tragen. Ich konnte wieder tanzen gehen, in der Kirche wieder in der ersten Reihe sitzen, Freunde besuchen und all das mit der Billigung jener, die angeblich weiser waren als ich. Doch das änderte auch nichts an der Tatsache, dass ich das alles gar nicht wollte.
    »Gut.« Es klang nicht überzeugend. »Ich meine … ich freue mich natürlich, dass ich wieder Farben tragen darf.«
    Pamela glaubte mir nicht. Sie durchschaute jede meiner Lügen – das konnte sie schon immer. Dafür hasste, achtete und liebte ich sie. Ihr Blick fiel auf mein Notizbuch. »Du hast mal wieder die Arbeit liegen lassen, stimmt’s? Musst du den nicht in zwei Stunden abgeben?«
    Das hatte ich alles schon mal gehört und ich war nicht scharf darauf, es noch einmal zu hören. »Pamma, du hast deinen eigenen Lernstoff, um den du dich kümmern musst. Mach dir keine Gedanken um mich. Ich erledige das schon.«
    »Ich … tue es aber trotzdem«, seufzte sie. »Ich habe meine Matheaufgaben noch mal abgeschrieben und sie für dich eingereicht. Jeden Tag siehst du dir die Hologramme deines Vaters an … du starrst sie nur an und vergisst dabei alles um dich herum. Das macht mir einfach Sorgen. Es ging dir doch so lange gut, aber seit ein paar Wochen muss ich wieder Ausreden für dich erfinden …«
    Ich streckte die Hand aus und legte sie auf ihren Arm. Sie trug ein verwaschenes, blaues Leinenkleid. »Es ist alles in Ordnung, Pam. Wirklich.«
    Pam biss sich von innen auf die Wange. »Ich meine nur, du solltest deine Gefühle nicht unterdrücken. Das ist nicht gesund. Ich weiß, dass deine Trauerzeit vorbei ist und dass jetzt niemand mehr Ausnahmen für dich machen wird, aber du darfst deshalb auch nicht … kalt werden.«
    Und das aus dem Mund des Mädchens, das seit dem Tod meines Vaters unzählige Male als mein menschliches Taschentuch herhalten musste? Pah. Ich beschloss, es ihr durchgehen zu lassen, da wir schließlich beide unter Stress standen. Eins musste ich allerdings noch loswerden. »Ich unterdrücke sie nicht, Pam. Ich spare sie mir für Tante Gene auf.«
    Sie witterte noch eine Lüge und warf mir einen vernichtenden Blick zu. Aber sie ritt nicht weiter darauf herum. Stattdessen meinte sie nach einer Pause: »Wenn du sie dir vorknöpfst, dann nimm es besser auf, auf Video, nicht nur auf Tonband, sonst glaube ich es dir nämlich nicht.«
    Ich wusste, sie hatte mir verziehen. »Wenn es so weit ist, bist du die erste, die es erfährt. Ihren Brief habe ich dir ja gezeigt, oder?« Na ja, eigentlich hatte ich eher wütend vor ihr damit herumgefuchtelt, während ich über die Unverfrorenheit meiner Tante gewettert hatte, die an genau dem Tag, an dem unsere Trauerzeit offiziell endete, auf einen Ball gehen wollte. Aber egal.
    Pam nickte. Dann huschte ihr Blick zum Fenster und sie sprang auf die Füße, die in hochgeknöpften Stiefeln steckten. »Da kommt sie ja!«
    Großartig. Mit einem Seufzer schloss ich mein ledergebundenes Notizbuch.
    Ein rascher Blick durch den Gang zeigte, dass es noch immer keine freien Träger gab.
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