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Dark Love

Dark Love

Titel: Dark Love
Autoren: Lia Habel
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Ankunft in der Stadt hatte es jeden Tag Demonstrationen gegeben. Hauptsächlich waren es Lebende, die gegen die Toten oder gegen die Regierung protestierten, weil sie alles so lange vertuscht hatte. Doch manchmal versammelte sich auch eine Zombiegruppe und marschierte für eine gleichberechtigte Behandlung in Bereichen medizinischer Versorgung oder Unterbringung durch die Straßen. Bisweilen war der Auslöser auch ein Vorfall von Gewalt gegen Zombies. Chas war zu einem dieser Demos gegangen und ziemlich enttäuscht wieder nach Hause gekommen, weil sie die Protestslogans nicht hatte mitsingen können. Sam arbeitete noch immer an ihrem neuen Kehlkopf.
    Ich wollte nicht hier sein.
    Doch ich musste es sehen. Ich musste das Ende miterleben, musste sehen, wie er stürzte. Trotzdem fiel es mir schwer, dem Tod eines Menschen beizuwohnen. Sehr schwer. Das wahre Leben war kein Kriegshologramm.
    Aber der Mann, der heute hier sein Ende finden sollte, hatte meinen Vater verletzt, hatte gedroht, Bram und mich zu töten, und hatte eine ganze Stadt dem Untergang preisgegeben. Er war für das alles verantwortlich.
    Bisher schien der Impfstoff zu wirken, was die Lebenden etwas beruhigte. Es hatte keine weiteren Zombieangriffe mehr gegeben. Man konnte über den Wahnsinn der Punks urteilen, wie man wollte, doch sie hatten die meisten der gefährlichen, wilden Rudel ausgelöscht. Und die Armee hatte Wolfe fallen gelassen. Sie hatten ihn vor Gericht gestellt und verurteilt, als eine Geste der Sühne für alles, was sie vertuscht hatten.
    Also war das hier das Ende. Das versuchte ich mir zumindest einzureden. Wenn dieser Mann erst tot war, konnte mein Leben wieder so etwas wie Normalität annehmen.
    Ich sah mich um. Mein Vater lehnte auf seinem Gehstock und betrachtete die Szenerie scheinbar ungerührt, doch seine Augen waren ruhelos. Ich fragte mich, was er wohl dachte. Bram jedenfalls fühlte sich genau wie ich, das wusste ich. Er berührte mich noch immer, seine Hand lag auf meiner Schulter und ich tastete nach ihr. Ich wollte für ihn da sein. Er hatte diesen Mann weit länger gekannt als ich. Er hatte so viel mehr von seiner Bosheit erdulden müssen.
    »Alles in Ordnung?«, fragte ich ihn.
    »Ja.«
    Die Menschen warfen uns angewiderte Blicke zu. Ich konnte sie nicht einmal rundheraus als Mortalisten bezeichnen, denn tatsächlich hätte Bram mich auch dann nicht in der Öffentlichkeit berühren dürfen, wäre er noch am Leben gewesen. Trotzdem lehnte ich mich kaum wahrnehmbar gegen ihn. »Hältst du mich für verdreht, weil ich nach allem, was passiert ist, hier bin, um noch einen Menschen sterben zu sehen?«, fragte ich zaghaft.
    »Nein. Nach allem, was er dir und deinem Vater angetan hat? Ich würde mir mehr Gedanken machen, wenn du es nicht mit ansehen wolltest.« Bram strich mir über das Haar. »Und keine Sorge, falls du mir hier umkippst, helfe ich dir. Ich verstehe etwas von lebenserhaltenden Maßnahmen, so absurd sich das auch anhört.«
    Als die Glocken der Kathedrale der Heiligen Mutter die festgelegte Stunde einläuteten, verstummte die Menge. Die Proteste gingen allerdings weiter und einzelne Stimmen erhoben sich. Es waren Zombies, die Wolfes Freilassung forderten als Zeichen der Gnade für die Toten. Ein Sprecher an vorderster Front rief etwas, das ich durch das Gemurmel der Menge und das endlose Trommeln der dicken Regentropfen auf meinem Schirm nicht verstehen konnte.
    Vier Soldaten mit schwarzen Masken geleiteten Wolfe durch die Menge. Seine Abzeichen waren ihm abgenommen worden und er trug eine einfache Hose und ein weißes Hemd. Bart und Haare waren ungekämmt und es schien, als würde ein Feuer sein Gesicht umlodern. Er war inzwischen tot. Man hatte ihm die üblichen medizinischen Post-mortem-Behandlungen vorenthalten und sein Fleisch verweste an seinen Knochen. Als er an der vordersten Reihe der Menge entlangschritt, schrien einige Frauen unter ihren verschleierten Hüten auf. Ich konnte ihn von meinem Platz aus nicht gut erkennen, doch es schien ein schlimmer Anblick zu sein.
    Er wurde zum Galgen geführt und an die hintere Glaswand gestellt. Seine Hände und Füße lagen bereits in Ketten und nun wurden sie am Galgenboden befestigt. Die vier Soldaten, von denen jeder ein Gewehr trug, stellten sich vor ihm auf.
    Ich hörte einen weiteren Ausruf des Sprechers und wusste, dass er Wolfe gefragt hatte, ob er noch ein paar letzte Worte sagen wollte.
    »Nein«, erwiderte Wolfe und seine Stimme donnerte über die Menge.
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