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Dark Kiss

Dark Kiss

Titel: Dark Kiss
Autoren: Michelle Rowen
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saß mit dem Rücken an die geschlossene Tür gelehnt vor einem Schreibwarenladen. Direkt über seinem Kopf hing das Geschlossen-Schild im Schaufenster. Seine über den Bürgersteig ausgestreckten Beine versperrten mir den Weg. Er hatte das Gesicht in den Händen vergraben. Ich blickte mich nach den vorbeigehenden Passanten um, doch sie würdigten ihn keines Blicks. Typisch. Jeder in dieser Nachbarschaft dachte nur an sich selbst. Vor allem wenn es um jemanden ging, der wie ein Straßenkind aussah. Der Junge trug zerrissene Jeans, abgewetzte Stiefel und ein einfaches blaues T-Shirt.
    Keine Jacke. Ich wickelte meinen schwarzen Mantel enger um mich, um die Kälte abzuwehren.
    Kurz nachdem sich meine Eltern getrennt hatten und mein Vater fortgezogen war, hatte ich nach einem Streit mit meiner Mutter beschlossen, abzuhauen. Ich hatte es satt, von ihr ignoriert zu werden. Auch wenn mir klar war, dass sich die Welt nicht um mich drehte, wollte ich, dass ihre Welt es tat. Wenigstens ein bisschen.
    Ich lebte für drei Tage mitten in der Innenstadt auf der Straße, nur einige Meilen von hier entfernt. Am Morgen des zweiten Tages hatten mich einige Straßenkinder auf dem Bürgersteig entdeckt, wo ich hockte und mir die Augen ausheulte, weil ich mich verloren fühlte und in Selbstmitleid versank. Sie nahmen mich unter ihre Fittiche und brachten mich zu einer Mission, wo ich eine warme Mahlzeit bekam. In der Nacht ließen sie mich im Keller eines verlassenen Hauses schlafen, das sie auf der Westside gefunden hatten.
    Dann rieten sie mir, wieder nach Hause zu gehen, weil eine Mutter wie meine um Lichtjahre besser wäre als ihre eigenen Eltern. Außerdem war es nur noch eine Frage der Zeit, bis die Polizei mich aufgreifen würde, nachdem meine verzweifelte Mom eine Vermisstenmeldung aufgegeben hatte. Dennoch war ich lange genug auf der Straße gewesen, dass mir schlimme Dinge hätten passieren können. Ich habe meine Beschützer von damals nie mehr gesehen, aber dennoch nie vergessen, was sie für mich getan hatten. Wenn ich mich dafür revanchieren konnte, indem ich zum Beispiel dem Jungen hier half, würde ich mein Bestes geben.
    „Hey“, sagte ich zu dem Jungen auf dem Gehweg. „Alles okay?“
    Als ich keine Antwort bekam, beugte ich mich zu ihm hinunter und stieß ihn an. Ich fürchtete schon, er wäre schwer verletzt.
    „Kannst du mich hören?“
    Eine nahe Straßenlaterne ging genau in diesem Moment flackernd an, und der Junge nahm schließlich die Hände vom Gesicht und blinzelte mit seinen langen mahagonifarbenen Wimpern, die etwas dunkler waren als sein Haar.
    Die unglaublichsten Augen blickten mich an – ein Kobaltblau, das so intensiv war, als könnte es mich durchdringen. Ich hielt den Atem an. Er war der ungewöhnlichste Junge, den ich je in meinem Leben getroffen hatte, und irgendwie kam er mir bekannt vor. Warum, wusste ich allerdings nicht.
    Er war älter, als ich zunächst gedacht hatte, ungefähr in meinem Alter, vielleicht ein Jahr älter. „Wer bist du?“, fragte er und runzelte die Stirn.
    „Ich bin Samantha. Samantha Day. Brauchst du Hilfe? Bist du verletzt?“
    Er schaute mir wie hypnotisiert in die Augen. Ich starrte zurück, unfähig, meinen Blick von ihm abzuwenden. „Ich habe keine Ahnung, was ich tun soll. Mein Kopf. Ich kann nicht mehr richtig denken, seit ich gefallen bin. Meine Gedanken sind vollkommen durcheinander.“ Er verzog das Gesicht, als hätte er Schmerzen.
    Ich begann, mir Sorgen zu machen. „Du bist gefallen? Hast du dir den Kopf angeschlagen?“
    „Meinen Kopf?“
    Ich kramte in meiner schwarzen Ledertasche nach meinem Handy. „Wenn ich jemanden anrufen soll, ist das kein Problem. Tu ich sofort.“
    „Ich kann sie nicht finden.“ Es klang gequält, und ich war mir nicht sicher, ob der Grund dafür körperlicher oder seelischer Natur war. In jedem Fall berührte es mich. „Ich habe Tag und Nacht gesucht. Das ist alles meine Schuld. Alles meine Schuld. Ich werde versagen, und dann ist alles verloren. Alles und alle. Für die Ewigkeit.“
    Angeblich war er gestürzt, jedoch zweifelte ich allmählich daran. Ich vermutete vielmehr, dass da so ein Psycho- oder Drogen-Ding ablief. Darauf hätte ich gewettet.
    Ich musterte ihn genauer. Vielleicht hatte ich ja sein Bild in der Zeitung oder im Fernsehen gesehen, weil seine Eltern auf der Suche nach ihm waren, und er kam mir deshalb so bekannt vor.
    „Wie heißt du?“, fragte ich. „Bishop.“
    „Okay. Ist das dein Vor- oder dein
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