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Dark City 2 (Die Tränen des Lichts) (German Edition)

Dark City 2 (Die Tränen des Lichts) (German Edition)

Titel: Dark City 2 (Die Tränen des Lichts) (German Edition)
Autoren: Damaris Kofmehl , Demetri Betts
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einem unsichtbaren Puppenspieler gelenkt, richtete sich Sheldons Oberkörper plötzlich taumelnd auf. Sein von Spinnen eingehüllter Kopf, der jetzt aussah wie ein mit Würmern übersäter Totenschädel, baumelte unkontrolliert zur Seite. Sein Mund war leicht geöffnet, während er tief und regelmäßig weiteratmete.
    Es war, als hätten die Spinnen die Steuerung seiner gesamten Motorik übernommen. Und das alles, während er tief und fest schlief! Sie hatten ihn zu ihrer Marionette gemacht! Mit einer ruckartigen Bewegung, als wäre ihr Arm an einem durchsichtigen Faden befestigt, schlug die Menschenpuppe die Bettdecke zurück und stellte ihre Füße auf den Boden. Sie erhob sich mechanisch und schritt ungelenk quer durchs Schlafzimmer. Vor einem Regal machte sie Halt und streckte ihre mit Spinnen übersäten Arme nach einer Nähschatulle aus. Sie klappte den Deckel auf, langte mit geschlossenen Augen hinein und klaubte mit einem einzigen perfekten Handgriff eine Nähnadel heraus. Dann stellte sie das Kästchen zurück ins Regal, marschierte, die Nadel zwischen Zeigefinger und Daumen geklemmt, Richtung Tür und öffnete sie. Einem Zombie gleich schlurfte sie über den Korridor und stieg mit abgehackten Bewegungen die Treppe in das Kellergeschoss hinunter. Sheldons Kopf kippte nach vorn, als er sein geheimes Arbeitszimmer erreichte. In tiefen Schlaf versunken, kletterte er durch die verborgene Öffnung, betrat den Raum, begab sich zielstrebig zu seinem Schreibtisch und ließ sich auf seinen Drehsessel fallen.
    Die Spinnen formierten sich neu. Während die einen noch immer wie ein zähflüssiger schwarzer Brei an seinem Kopf klebten, kam eine wellenförmige Bewegung in die Spinnen auf seinen Armen. Sie stülpten sich wie zwei dunkle Handschuhe über seine Hände. Ein paar von ihnen krabbelten zu Sheldons Zeigefinger und Daumen vor und machten sich eifrig an der Nadel zu schaffen. Sie zogen einen klebrigen, glänzenden Faden durch die Öse hindurch, und dann ließen sie ihre Puppe tanzen.
    Als hätte sie ihr Leben lang nichts anderes getan, begann die Marionette, mit dem Faden einen Stoff zu weben. Zu Beginn war das Gewebe nicht größer als eine Münze. Aber mit jedem Nadelstich wurde der Stoff ein klein wenig größer und fester. Die Spinnen sponnen die Fäden, und ihre Marionette verarbeitete sie mit der Nadel zu einem immer dichteren Stofffetzen. Manchmal kippte Sheldons Körper leicht zur Seite, doch seine Hände arbeiteten mit schnellen, präzisen Bewegungen weiter, und die Spinnen, die in einem undurchschaubaren Gewirr aus Leibern und Beinen sämtliche Nadelstiche koordinierten, versorgten die menschliche Nähmaschine fortwährend mit neuem Faden.
    Die ganze Nacht arbeitete Sheldon an dem geheimnisvollen Gewebe. Bis zum Morgengrauen sponnen die Spinnen ihre Fäden und ließen den eigenartigen Stoff unter der geschickten Hand ihrer Marionette heranwachsen. Dann, kurz vor sechs Uhr, verstaute sie ihr unvollendetes Werk in der Tischschublade, verließ das Zimmer, wandelte zurück ins Schlafzimmer und legte sich ins Bett.
    Als pünktlich um sechs Uhr der Wecker rasselte und Sheldon die Augen aufschlug, konnte er sich an nichts von alledem erinnern, was in dieser Nacht mit ihm geschehen war. Nur die Fingerkuppen seines Zeigefingers und seines Daumens waren etwas wund und schmerzten ein wenig, worauf er sich allerdings keinen Reim machen konnte. Das Einzige, woran er sich vage erinnerte, war ein Traum, ein skurriler Traum, in dem es nur so von Spinnen gewimmelt hatte. Irgendwie wurde er das Gefühl nicht los, dass hier etwas nicht mit rechten Dingen zuging.

5
    Ephrion, Miro und Joash sahen sich verwundert um. Der Wolf hechelte. Die blinde Aliyah, ihre Hände in Nayatis Fell vergraben, lauschte angestrengt. Kein Klirren von Schwertern, kein Schnauben von Nüstern, keine feindlichen Stimmen waren zu hören. Eben noch waren sie von Drakars Sicherheitsgarde umzingelt gewesen, und nun war alles still.
    «Was ist passiert?», fragte das zierliche Mädchen. «Wo sind die Soldaten?»
    «Luft ist rein», sagte jemand mit lauter Flüsterstimme neben ihnen. «Seid fürs Erste in Sicherheit. Hoffe ich jedenfalls.» Die Stimme gehörte demselben glatzköpfigen Fremden, der sie vor wenigen Augenblicken so inbrünstig angefleht hatte, seinen Mantel zu berühren. Er hatte nichts weiter getan, als den grauschwarzen Mantel über sie zu werfen, und als er ihn wieder von ihnen weggenommen hatte, standen sie auf einmal mutterseelenallein
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