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Dark Bd. 1 - Prinz der Dunkelheit

Titel: Dark Bd. 1 - Prinz der Dunkelheit
Autoren: Mark Lawrence
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betrachte die Seite vor mir und den Federkiel in meiner Hand, mit der viele dunkle Möglichkeiten enthaltenden schwarzen Tinte an seiner Spitze. Habe ich ohne Verzerrungen gesehen? Wenn ich durch die Jahre sehe, wie viel ist klar, wie viel verzerrt?
    Der Nubier erzählte mir, dass sein Volk Tinte herstellt, indem es Geheimnisse zermahlt. Hier sitze ich und entwirre sie, und ich komme nur langsam voran.
    Auf dem Hof sehe ich Rike, eine riesige Gestalt, neben der die Soldaten, die er drillt, zwergenhaft wirken. Ich habe gehört, dass er sich eine Frau genommen hat. Auf weitere Nachforschungen habe ich verzichtet.
    Ich breite die Seiten vor mir aus. Ein Schreiber wird sie kopieren. Meine Schrift ist schwer lesbar. Die Worte drängen sich aneinander, bilden eine ununterbrochene Linie, eine Linie, der ich vom Da zum Hier gefolgt bin, vom Gestern zum Heute.
    Ich sehe mein Leben auf dem Tisch ausgebreitet. Ich sehe den Verlauf meiner Tage, wie ich mich ziellos gedreht habe, dem Kreisel eines Kindes gleich. Corion hat vielleicht versucht, das Ziel meiner Reise zu bestimmen, aber der mörderische Weg in unbesonnenen Kreisen – dafür bin ganz allein ich verantwortlich.
    Gog hockt beim Feuer. Er ist gewachsen, und damit meine ich nicht nur die Größe seines Körpers. Er macht sich einen Spaß daraus, Formen in den Flammen zu schaffen und sie miteinander tanzen zu lassen. Es ist ein Spiel für ihn, und wenn er genug davon hat, kehrt er zu seinem hölzernen Soldaten zurück und lässt ihn marschieren. Irgendwie bringt er ihn dazu, hierhin und dorthin zu laufen und Schatten anzugreifen.
    Ich denke an die Straße. Es geschieht jetzt nicht mehr so oft, aber gelegentlich denke ich an sie. An das Leben, das jeden Morgen neu begann, an den Weg, an das Blutvergießen, an die Jagd nach Geld und Schatten. Es war ein anderer Jorg, der auf all das aus war, ein anderer Jorg, der Dinge zerbrach, weil er Freude am Zerbrechen hatte. Weil er es aufregend fand zu entdecken, was geschehen könnte, und wie andere darauf reagierten.
    Ich bin wie Gogs kleiner Soldat gewesen und in wilden, bedeutungslosen Kreisen gelaufen. Ich kann nicht sagen, dass mir die Dinge Leid tun, die ich getan habe. Aber ich bin mit ihnen fertig. Jene Entscheidungen würde ich nicht noch einmal treffen. Ich erinnere mich an sie. Blut klebt an diesen Händen, an diesen mit Tinte verschmierten Händen, doch ich fühle nicht die Sünde. Vielleicht sterben wir jeden Tag. Vielleicht werden wir jeden Morgen neu geboren, ein bisschen anders, ein Stück weiter auf der Straße unseres Lebens. Wenn genug Tage zwischen dir und der Person stehen, die du gewesen bist, so seid ihr Fremde. Vielleicht hat es das mit dem Erwachsenwerden auf sich. Vielleicht bin ich jetzt erwachsen.
    Ich habe gesagt, dass ich mit fünfzehn König sein würde, und das bin ich. Ich musste nicht einmal meinen Vater töten, um eine Krone zu erlangen. Ich habe die Spukburg und Renars Land. Mein Reich besteht aus einigen Dörfern und kleinen Städten, wenn sie denn diese Bezeichnung verdienen, und aus Menschen, die mich König nennen. Und wenn man von den Leuten König genannt wird, so ist man einer. Eigentlich keine große Sache.
    Auf der Straße habe ich Dinge getan, die man böse nennen könnte. Es gab Verbrechen. Oft wird in diesem Zusammenhang über den Bischof gesprochen, aber es gab noch viele andere, einige von ihnen finsterer, andere blutiger. Ich habe mich gefragt, ob Corion jenes Übel in mich setzte, ob ich sein Werkzeug war und er der Architekt all der Gewalt und Grausamkeit. Ich habe mich gefragt, ob ich nach seinem Tod und meinem Erwachsenwerden eine bessere Person geworden bin. Ich habe mich gefragt, ob ich der Mann sein könnte, den sich der Nubier wünschte und Lehrer Lundist erhoffte.
    Ein solcher Mann hätte Graf Renar die Gnade eines schnellen Todes erwiesen. Ein solcher Mann hätte gewusst, dass seine Mutter und sein Bruder nicht mehr wollten als das. Gerechtigkeit, keine Rache.
    Von meinem Fenster aus sehe ich die Berge. Hinter ihnen liegen Ankrath und die Hohe Burg. Vater mit seinem neuen Sohn. Katherine in ihren Gemächern. Katherine, die mich wahrscheinlich hasst. Und jenseits davon Gelleth, und Storn, und ein Flickwerk aus Ländern, die einst das Reich waren.
    Ich werde nicht für immer hier bleiben. Irgendwann erreiche ich die letzte Seite und lasse den Federkiel sinken. Wenn es so weit ist, gehe ich hinaus, und dann gehört alles mir. Ich habe Bovid Tor gesagt, mit fünfzehn würde
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