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Daniel und Ismael

Daniel und Ismael

Titel: Daniel und Ismael
Autoren: J. Walther
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Jen legt eine Hand in meinen Nacken.
    »Du wirst doch herauskommen?« Ich schiele zu ihr hoch.
    Sie blickt immer noch über den See, ihr Gesicht hart. »Ich hätte nie gedacht, dass es einmal so kommt.«
    »Wir wollten doch immer zusammen hier weg.«
    Jen antwortet nicht. Ich schließe wieder die Augen. Hier weg. Im nächsten Sommer. Wir werden das Dorf hinter uns lassen, den See, und die Jungs des Sommers.

 
    Eine Wohnung in der Stadt
     
    Ich gehe durch die verlassenen Dorfstraßen. Nichts rührt sich. Die Vorgärten liegen verödet da. In den Reifenspuren neben dem brüchigen Asphalt hat sich Schneegriesel gesammelt. Der Himmel hängt wie Blei über den Häusern.
    Ich stecke die Hände in die Jackentasche und ziehe die Schultern hoch. Ich gehe nicht am See vorbei. Dort spiegeln sich jetzt nur kahle Äste im Wasser. Stattdessen biege ich in die Hauptstraße ein und komme am Eiscafé vorbei. Die Türen sind verrammelt, und drinnen sind die Stühle auf den Tischen gestapelt. Es ist immer noch niemand auf der Straße.
    Zwischen zwei Häusern öffnet sich ein Feld. Die dunkle, krümelige Erde ist mit einem Hauch von Schnee wie mit Puderzucker bedeckt. Trockenes Gras raschelt im Wind. Das Feld verschmilzt in der Ferne mit dem Himmel.
    Ich gehe schneller, biege in einen Weg ein. Vor dem letzten Haus, einem kleinen schlichten Siedlungshaus aus Backstein, bleibe ich stehen. Jen öffnet mir die Tür. Sie gibt mir einen flüchtigen Kuss, dreht sich dann um ihre eigene Achse.
    “Wie findest du es?”
    Ihr Bob hat jetzt eine harte Kontur, im Nacken kurz, nach vorn länger. Dazu ein kantiger Pony, der ihr in die Augen fällt.
    “Ich dachte, aus dem Alter für Ponys bist du raus?”
    “Hast du gar keine Ahnung, Julian? Das ist gerade topmodern.” Sie dreht sich um und ich folge ihr durch den schmalen Flur nach oben in ihr Zimmer. Ich lasse meine Tasche achtlos fallen. Keine Lust auf Prüfungsaufgaben. Jen hat mit ihren Lehrbüchern den Fuß eines wackligen Regals abgestützt.
    Ich lege mich aufs Bett und starre auf die kahle Wand neben dem Dachfenster. Jen hat die alten Poster von ihren Lieblingsbands abgenommen. Der Typ mit den schwarzumrandeten Augen ist ebenso verschwunden wie der mit dem sexy Piercing in der Lippe. Stattdessen gibt es nur ein Poster mit einem modernen Druck
    “Scheißwetter”, meint Jen.
    “Ja.”
    Jen zündet sich eine Zigarette an und legt sich neben mich. Sie stützt die Füße auf dem Bettkopf ab. “Ich weiß jetzt, wie unsere WG aussehen soll.”
    “Erzähl.” Wir hatten schon eine Altbauwohnung mit hohen Decken, Stuck und minimalistischen Möbeln. Gefiel mir. Ein bisschen teuer vielleicht. Und eine Dachwohnung mit Bambus vor den Fenstern, Möbeln vom Sperrmüll und Nippes vom Flohmarkt. Gefiel mir auch.
    “Also. Eine alte Fabriketage oder so. Trendiger 60er-Jahre-Stil. Zusammengewürfelte, bequeme Sessel, Stehlampen und diese verrückten Muster.”
    “Sicher, Jen.” Ich lege einen Arm um ihren Kopf herum und nehme ihr die Zigarette ab. Ich fürchte, es sind nur Bilder aus dem Fernsehen, die wir zur Verfügung haben, aus Serien oder hippen Musikvideos. Die wir aufgewachsen sind zwischen Schrankwänden eiche-rustikal und wuchtigen Couchgarnituren von Möbel-Hoeffner.
    Ich stoße den Rauch Richtung Decke. Ich mag den Geschmack nicht besonders, aber ich fühle mich cool dabei. Ein bisschen jedenfalls.
    “Ich will ein Fenster zum Hof. Ich mag es, wenn die Kinder unten spielen. Wenn das Fenster offen steht. Wenn die Leute in der Wohnung gegenüber miteinander streiten”, Jen nimmt mir die Zigarette wieder ab, “Hast du Rob schon gefragt?”
    “Hab ihn noch nicht erreicht. Hat wohl zu tun.”
    “Ja, sicher.”
    “Halt den Mund Jen.” Ichrücke zur Seite. Ich versuche, nicht an Rob zu denken. Es ist noch ewig bis zum Sommer. Bis er wiederkommt. Bis ich hier wegkann.
    Feuchte Flocken klatschen auf das Dachfenster und sammeln sich als schmelzende Masse am unteren Rahmen. Ich angle unter dem Bett nach der Fernbedienung und mache den Fernseher an. Auf MTV läuft ausnahmsweise mal Musik. Ein Typ geht durch die Straßen von Berlin. Der Wind treibt Nieselregen vor sich her. Leute sind auf der Straße unterwegs, aus Cafés dringt warmes Licht nach draußen.
    Ich schließe die Augen. Ich sehe Rob dort sitzen, beim Brunch mit Freunden oder Leuten, die er kennt. Er redet und lacht, lehnt sich zurück. Ein Typ berührt ihn am Arm. Ich weiß nicht, was für ein Leben er dort führt, wo er hingeht, wen
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