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Daniel und Ismael

Daniel und Ismael

Titel: Daniel und Ismael
Autoren: J. Walther
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durch die Straßen gehe, grüßen mich die Lehrer, der Pfarrer, der Kantor und die gesamte evangelische Gemeinde. Einige reizende alte Damen aus der Kirchgemeinde fragen mich immer wieder, wann es denn mal was mit einer Freundin wird, ich sei doch so ein netter Junge. Manchmal stelle ich mir vor, dass ich dann sage, ich würde lieber mit einem Jungen ins Bett gehen, aber natürlich spreche ich das nie aus.
    Es ist ein milder Abend, noch nicht mal zehn, von der Tankstelle dringen hämmernde Bässe herüber, die aus aufgemotzten Autos wummern. Jungen stehen um die Karren herum, einige mit einem strähnchengefärbten Mädchen im Arm, alle mit Bierflasche und Zigarette.
    Ich wechsle die Straßenseite, denn obwohl ich sie im Grunde langweilig und beschränkt finde, habe ich keine Lust auf eine dumme Bemerkung, weil ich allein unterwegs bin, in einer ordentlichen Jeans und einem farblosen Hemd. Ich verschwinde im Stadtpark, folge einem Weg unter düsteren Bäumen. Ein paar Rechte mit schwarzen T-Shirts, weißen Parolen darauf und kantigen Haarschnitten kommen auf mich zu. Ich gehe möglichst ruhig weiter, schaue sie nicht an, aber auch nicht zur Seite. Sie gehen an mir vorbei, ohne sich um mich zu kümmern.
    Eine einsame dunkle Gestalt in einem langen Mantel kommt mir entgegen. Der Mantel weht um seine Beine und glänzt matt im Mondlicht. Er trägt schwarz und hat schwarze Haare, die ihm ins Gesicht fallen. Ich kenne ihn vom Sehen, weiß, dass er Ryan heißt. Und ich weiß, dass er schwul ist, die ganze Stadt weiß es. Keine Ahnung woher, vielleicht stimmt es auch nicht, sondern das Gerücht ist nur wegen dem Kajal um seine Augen aufgekommen.
    Als er an mir vorbeigeht, schaut er mir ins Gesicht und ich suche seinen Blick, aber es ist zu dunkel, um etwas zu erkennen und ich weiß, dass einer wie er mich nicht beachten würde. Trotzdem drehe ich mich um und schaue ihm hinterher. Die Rechten sind stehengeblieben, und als Ryan an ihnen vorbeigeht rufen sie ihm etwas von “Schwuchtel” und “Schwanzlutscher” zu. Er geht ruhig weiter, dreht sich dann um und zeigt ihnen den Stinkefinger.
    Zwei von den Rechten stürzen auf ihn zu, reißen an seinem Mantel und einer versetzt ihm einen Schlag ins Gesicht. Die andern sagen “Kommt” und “Wir haben doch was besseres vor”, und sie gehen lärmend davon. Wahrscheinlich haben sie noch nicht genug Alkohol intus.
    Als sie weg sind, gehe ich auf Ryan zu. Er fährt sich gerade mit dem Handrücken übers Gesicht, ich lege ihm die Hand auf die Schulter und frage: “Alles in Ordnung?”
    Er schüttelt meine Hand ab wie ein lästiges Insekt. “Nichts passiert”, sagt er, aber seine Lippe blutet.
    “War nichts weiter”, er schaut mich flüchtig an, seine Augen sind dunkel umrahmt, dann geht er weiter.

2
    Einige Wochen später, es liegt schon Herbst in der kühlen Luft, gehe ich abends vom Kirchenchor nach Hause. Der Kantor hat anläßlich seines Geburtstags eine Bowle mitgebracht, die wohl zu stark war, denn ich habe Mühe, geradeaus zu gehen. Gleichzeitig fühle ich mich so unbeschwert wie lange nicht mehr.
    In einer verlassenen und dunklen Straße kommt mir eine einsame Gestalt entgegen. An dem langen offenen Mantel erkenne ich Ryan. Ich merke, dass sein Schritt sich instinktiv verlangsamt, als er jemanden entgegenkommen sieht. Wie ein Tier, das Witterung nach dem Feind aufnimmt. Doch dann geht er wieder selbstsicher. So kommen wir uns auf dem schmalen Bürgersteig entgegen.
    “Hallo Ryan”, sage ich ziemlich laut.
    “Kennen wir uns?”, fragt er erstaunt.
    “Du erinnerst dich wahrscheinlich nicht.”
    Ryan tritt näher, fixiert mein Gesicht: “Ich glaube, jetzt erinnere ich mich.”
    Er kommt noch näher, sein Gesicht ganz dicht vor meinem, aber dann zuckt er zurück.
    “Hey, du brauchst nicht denken, du bist der einzige Schwule in der Stadt.” Noch während ich spreche, merke ich, das ich ziemlichen Quatsch rede.
    Ryan lacht. “Ach wirklich? Fühlst du dich gerade mutiger, als du bist?”
    Ich versuche, in meinem Kopf eine geistreiche und schlagfertige Antwort zu formieren, aber dadurch wird es nur schlimmer. Ryan tritt langsam in den Schatten eines Torbogens und lehnt sich an die Mauer.
    “Komm her, wenn du dich traust.”
    Ich schaue mich nach rechts und links um, weit und breit kein Mensch. Ich gehe ihm nach und trete dicht vor ihn. Er verströmt einen erdigen Geruch, der nicht sehr angenehm ist, mich aber trotzdem anzieht. Ich nehme die Hände aus den
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