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Damon Knight's Collection 02 (FO 03)

Damon Knight's Collection 02 (FO 03)

Titel: Damon Knight's Collection 02 (FO 03)
Autoren: Damon (Hrsg.) Knight
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hatte er gewußt, daß es so kommen könnte, aber er hatte sich mit eiserner Willenskraft gegen dieses Wissen gewehrt – und jetzt war er nur noch ein Häufchen Unglück. Nyctimene war fort und würde nie zurückkehren.
    Sie war schöner gewesen, als er es je für möglich gehalten hatte: nicht von der exotischen Schönheit einer Möwe oder eines Flamingos, die ihrer Natur nach vergehen muß, keine vorübergehende Versuchung wie das Rascheln von Zweigen und das kurze Aufblitzen einer weißen Brust oder Flügelspitze durch das sommerliche Laub. Ihre Schönheit war ihm etwas völlig Neues gewesen. Wie ihr Gesicht über dem seinen schwebte, der grausame liebende Mund zu einem Lächeln geöffnet, das seiner eigenen Sterblichkeit spottete, ihre Augen. Hinter seiner Verzückung – hinter ihrer Verzückung – stand ihr gemeinsames Wissen, daß es nicht lange dauern würde.
    Vor Nyctimene hatte er es nicht für möglich gehalten, daß er sich so mitreißen lassen könnte. Liebe, hatte sie ihn gelehrt, war Jupiter – ein Riesenschwan, ein Goldregen, eine Tobjagd. Reue? Nein, das war eine Annehmlichkeit gewesen – für später, wenn die Tobjagd vorüber sein würde. Jetzt war die Zeit für Reue gekommen.
    Jetzt (oder in einer halben Stunde, um sieben Uhr) würde er vielleicht äußerst reumütig sein. Um sieben würden diejenigen Freunde kommen, die ihm noch geblieben waren, um ihm zu seiner Verlobung mit Nyctimene zu gratulieren. Wie sollte er ihnen sagen, daß sie fort war? Sollte er einfach verlegen tun, so als ob er sie zu einem Gartenfest eingeladen hätte, das wegen Regen ausfallen mußte? Konnte er denn überhaupt seinen Schmerz verbergen? Wahrscheinlich würde er sich betrinken. In seiner Lage war das noch der am wenigsten unerfreuliche Ausweg.
    Am Morgen war er in die Stadt gefahren, um für die Party einzukaufen, und wie immer in der letzten Zeit hatte man ihn geschnitten und hinter seinem Rücken getuschelt (ein Großteil der Städter meinte, Respekt für die Institution der Ehe fordern zu müssen und sah sich deshalb genötigt, sein allzu offenkundiges Verhältnis mit Nyctimene zu mißbilligen), und als er zurückgekommen war, hatte er ihr Briefchen gefunden:
    Liebster, wir wußten es, nicht wahr? Aber als ich davon sprechen wollte, als wir auf der Wiese lagen und zu den Sternen, den wundervollen Sternen, aufblickten, oder einmal, als wir uns küßten und Du von der Härte in der Mitte meiner Oberlippe sprachst und mit dem Finger den kleinen »Knochen« da berührtest, da wollte ich es Dir sagen. Aber Du wußtest es schon und ließest mich nicht zu Wort kommen.
    Ich werde nie vergessen, daß Deine Augen blau waren, wie seltsam Du warst, Deine Worte (von denen ich viele nie verstanden habe), Deine Zärtlichkeiten. Ich habe Dich geliebt, aber jetzt muß ich fort.
    Es hat nur zwei Monate gedauert! So kurz.
    Ich habe nie an dieses Wort von Dir geglaubt – unvermeidlich. Jetzt verstehe ich endlich, was Du damit meintest. Du meintest, es sei für Dich unvermeidlich, daß ich gehen würde. Das ist ein komischer Gedanke, und ich muß darüber lächeln. Vielleicht glaubst Du, daß ich weine. Wußtest Du, daß es mir rein physisch unmöglich ist, zu weinen?
    Die Eier, die ich in dem Korb zurücklasse, werden in dreißig von Deinen Tagen ausschlüpfen. Halte sie bei Zimmertemperatur – 21 Grad.
    Ich habe so über dieses komische Stück, welches Du mir vorlasest, gelacht – nicht Titus Andronicus (obwohl das auch komisch war), sondern das andere – daß Du erstaunt sein wirst, daß ich eine Zeile daraus behalten habe:
    Gute Nacht, gute Nacht!
    Süß ist des Abschieds Leid.
    So sag ich Gute Nacht, bis daß der Morgen mich befreit. In Liebe Nyctimene Ursa, die Haushälterin, die er mit dem Haus und dem umhegenden Land von seinen Eltern geerbt hatte, wußte schon, ohne den Brief gelesen zu haben, daß Nyctimene ihn verlassen hatte. Ursa hatte sein Verhältnis mit Nyctimene nie gebilligt, aber viel weniger noch seine Verlobung. Und jetzt verlor sie kein Wort über ihr Verschwinden. Mitleidslos bereitete sie das kalte Büfett für die Gäste dieses Abends und gebärdete sich mit ihren Salaten, Häppchen und kalten Braten wie die aufsichtführende Harpyie des Festes.
    Er stand im Eßzimmer, wo zwischen dem Plunder aus der Kredenz seiner Mutter – goldumrandetes Porzellan, schweres Silber, Kristall – auf dem großen Mahagonitisch Appetithappen, Salate und Saucen aufgebaut waren und sah zu den Flügelfenstern hinaus auf
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