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Damon Knight's Collection 02 (FO 03)

Damon Knight's Collection 02 (FO 03)

Titel: Damon Knight's Collection 02 (FO 03)
Autoren: Damon (Hrsg.) Knight
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dunkel. Von Zeit zu Zeit kräuselte ein Beben die Erde, so daß sie hinfielen, aber sie rafften sich wieder auf und eilten weiter. Wie zuvor schien der Weg zeitlos und mühelos zu sein. Kein Mond war da.
    Mary blieb hinter ihm zurück, und Kinross drehte sich dauernd um, um auf sie zu warten. Im schwindenden Licht sah er, daß die gespannte Bosheit ihrer Miene allmählich einem vagen und fernen Kummer wich. Die breite Stirn war wieder glatt, die roten Lippen verträumt. Einmal sagte sie: »Meine Vögel. Ich kann nicht all meine Vögel zurückbringen.«
    Plötzlich drang der Klageschrei einer Schnepfe aus der Dunkelheit. Mary blieb stehen und sah empor. Kinross schaute sich um. Der verlorene, schluchzende Schrei wiederholte sich. Mary hob die Arme zum schwarzen Himmel und summte. Nichts geschah.
    Sie blickte Kinross an, seine Gestalt, ebenso verschwommen im Dämmerlicht wie ihre eigene. »Sie kommt nicht zu mir«, flüsterte sie jammernd.
    Zum drittenmal erklang der Schrei. Mary ließ die Arme sinken.
    »Ich gehe zurück«, sagte sie. »Geh allein weiter, Allan.«
    »Nein!« protestierte er. »Du mußt mit mir kommen. Ich lasse dich nicht zurückkehren!«
    Er packte sie bei den Schultern. Sie richtete sich steif auf, und ihre Augen glänzten. Ein Hauch, eine Anwandlung des einstigen Gefühls berührte ihn, und seine Knie wurden weich. Er sank zu Boden, umklammerte ihre Schenkel, flehte: »Nein, nein, Mary! Laß mich nicht hier im Dunkeln allein!«
    »Ich muß«, sagte sie ruhig. Dann mit einem Anflug von Mitleid: »Sei tapfer und geh jetzt weiter, Allan. Es bleibt dir nichts anderes übrig.«
    Sie hob ihn auf und küßte ihn auf die Stirn. Er taumelte weiter und wagte es nicht, sich umzuschauen, aus Angst vor einem neuen Schwächeanfall. Der Himmel öffnete sich silbern, als die Bewölkung aufbrach, und nun schien der Vollmond vor ihm. Da schaute er sich um, aber sie war nirgendwo.
    Bei dem weiten Abgrund unter dem Mond setzte er unbewußt Fuß vor Fuß. Es blieb ihm nichts anderes übrig. Er fand die Schlucht und watete sie entlang, schneller als die Strömung. Er hörte das Tosen des Wasserfalls und erblickte den letzten Felsvorsprung, der ihn von dem Rande trennte. Einen Herzschlag lang klammerte er sich an den Felsen und starrte in den Abgrund in all seiner silbrigen Schönheit, mit dem widerspiegelnden See auf seinem Boden. Dann ließ er sich nicht nur vom Wasser mitreißen, sondern drängte, stürzte seinen Körper über den Rand.
    Es war kein glatter, sondern ein stufenweiser Sturz. Fall, Aufprall, Weiterrollen, Fall, Aufprall, Weiterrollen, rhythmisch, schmerzlos, unter unerträglicher geistiger Erregung, hinab und hinab, bis das Himmelsrund über ihm durch die Entfernung immer kleiner wurde und der silbrige See unter ihm ins Ungeheuerliche wuchs. Der weite Abgrund schien seine Ausmaße umzukehren, sich umzustülpen, sein Inneres nach außen zu wenden, es war so, als fiele Kinross in den Mond. Dann schlug das Wasser am äußersten Punkt des Aushaltevermögens über ihm zusammen.
    Hinab und hinab durch das Wasser, seine Brust im Schraubstock des Schmerzes, der Finsternis und der Angst, mit Armen und Beinen fuchtelnd, und dann ein dürres Knacken, ein stechender Schmerz in seiner Zehe, und er saß keuchend in einem Dornengestrüpp. Seine Haut war trocken.
    Es war Tag. Ein Bach floß in der Nähe, und darüber erhob sich eine gelbliche Sandsteinwand mit Zeichnungen von dickbäuchigen Känguruhs und Strichmännern in verblichenem Rot und Schwarz. Er nahm eine Handvoll Erde und betrachtete sie. Da war sie, hart und scharf und klar bis in all ihre winzigen Einzelheiten, so tief jedes Mikroskop zu dringen vermochte, fest und gefeit gegen jede Pfuscherei. Es war die alte Welt. Seine Welt. Kinross stand auf und verspürte überwältigenden Durst.
    Er ging hinab zum Bach, trank gierig und war so durstig wie zuvor. Er vergrub das Gesicht im Wasser und trank, bis er fast platzte, richtete sich wankend auf, während ihn unerträglicher Durst zerriß. Er zupfte an seinem Bart und wunderte sich.
    Geräusche erklangen, Klirren von Metall und Geplansche. Dann das Knarren von Leder und leise Stimmen. Reiter kamen den Bach hinauf. Plötzlich spürte er sie unmittelbar, Pferde und Männer, strotzend von Leben, rotes, lebendiges, pumpendes Blut in den Adern. Sein Durst hüllte ihn wie eine Wolke des Wahnsinns ein, und er wußte, wer und was er war. Er wartete und fragte sich, ob sie ihn wohl sehen konnten …
     
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