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Damenschneider

Damenschneider

Titel: Damenschneider
Autoren: Rupert Schöttle
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müssen, was ihm, der zumindest in privater Umgebung legere Bekleidung vorzog, nicht eben angenehm gewesen wäre. Andererseits hätte er es als unmöglich befunden, den Musentempel in Freizeitkleidung zu betreten, soweit immerhin hatte die Erziehung seiner Eltern gefruchtet.
    Schon während seines Studiums hatte er sehr viel Zeit auf dem Stehplatz der Oper verbracht, um sich von den Vorlesungen der Medizin oder dem Sezieren von Leichen zu erholen. Dort lernte er mit der Zeit einige Gleichgesinnte kennen. Für mehrere Jahre hatte er es sich sogar zur Gewohnheit gemacht, zusammen mit einigen anderen, gleichaltrigen Musikenthusiasten nach den obligaten Huldigungszeremonien am Künstlereingang in ein Beisl zu gehen. Entweder in das leider heute nicht mehr existierende Restaurant »Smutny« in der Elisabethstraße oder in das der Rückseite der Oper gegenüberliegende »Café Mozart«. Das Letztere wurde sehr gerne aufgesucht, wenn ein Kellner namens Karl Dienst hatte, der neben einem großen Herz für arme Studenten auch über die besten Informationen aus der Künstlerszene verfügte. Ins »Smutny« ging man dagegen aus ganz anderen Gründen und gerne zu Monatsanfang, weil das dort ausgeschenkte »Budweiser Bier« dermaßen süffig war, dass man jedes Mal versucht war, seinen Geldbeutel über Gebühr zu strapazieren und sich wider alle Vernunft »noch eines« zu bestellen. Schließlich konnte man das zu viel investierte Geld nach dem nächsten Opernbesuch, – ein Stehplatz in der Galerie schlug mit seinen 20 Schillingen nicht wirklich zu Buche, – wieder im »Mozart« einsparen, da Karl ein Einsehen hatte, dass man die leidenschaftlich geführten Diskussionen über das soeben Erlebte auch bei einem kleinen Soda führen konnte. Der Flachmann kreiste unterdessen unter dem Tisch.
    Bald verband ihn auch eine Art Freundschaft mit einem dieser Musenfreunde, so dass er sich mit jenem gelegentlich auch außerhalb der üblichen Termine traf, wobei sie auch über etwas anderes als nur über Sänger und Inszenierungen sprechen konnten. Obwohl er schon lange nicht mehr regelmäßig in die Oper ging, hatte er die Gewohnheit der sporadischen Treffen mit Marius Volkhammer beibehalten. Dann zog man gemeinsam über die Häuser und vergnügte sich im so genannten »Bermuda-Dreieck« oder am Spittelberg. Diese Lustbarkeit war allerdings ausgesprochen harmloser Natur, denn außer einem prüfenden Augenschein hatte die holde Weiblichkeit von diesen beiden Eigenbrötlern nichts zu befürchten. Für die Befriedigung seiner körperlichen Triebe nahm Necker übrigens gelegentlich die Dienste einer Dame in Anspruch, die Nämliches sehr geschickt und gegen Bezahlung machte, und bei der, eine vorige Terminabsprache vorausgesetzt, er nicht in Gefahr geriet, auf eine stets befürchtete Ablehnung zu stoßen.
    Nach reiflicher Überlegung hatte er also beschlossen, diese Woche auf den Puffbesuch zu verzichten und lieber ein Treffen mit seinem Freund Marius ins Auge zu fassen, um mit ihm diverse Lokalitäten zu besuchen.
    Der Nachteil an dieser Alternative lag freilich in der Gefahr der tiefen Frustration, etwa, wenn sich eine von der Ferne taxierte Dame mit angewidertem Gesichtsausdruck abwandte oder sich gar so laut, dass er es noch hören konnte, verächtlich über ihn äußerte. Solches hatte er auf seinen Beisl-Touren leider schon erleben müssen, was sein ohnehin angegriffenes Selbstwertgefühl nicht unbedingt gestärkt hatte. Obwohl sein Äußeres keineswegs abstoßend zu nennen war. Zwar war sein Haupthaar schon ziemlich gelichtet, außerdem trug er eine nicht sehr kleidsame Brille, doch seine Gesichtszüge waren, sah man von seiner etwas fleischigen Nase ab, immerhin regelmäßig. Doch in der heutigen Zeit der Äußerlichkeiten kämpfte man mit einem nur durchschnittlichen Aussehen leider oft auf verlorenem Posten.
    Außerdem war es schon November und dementsprechend kalt, was sich nach reichlichem Alkoholgenuss durchaus ungemütlich bemerkbar machen konnte.
    Und was hatte unser Held hinter der »Eins« vermerkt?
    Schon den ganzen Tag hatte er hin und her überlegt, ob er diesen Schritt wagen sollte. Obwohl ihm bewusst war, dass das Ergebnis absolut bindend war, würde ihm, wenn er diese Zahl würfelte, auf der Stelle sein Herz in die Hose plumpsen. Denn dann hätte er keine Wahl, er müsste bei ihr anklopfen.
    Vera Richter war vor einigen Wochen in die Nachbarwohnung gezogen. Hin und wieder traf man sich im Stiegenhaus und wechselte ein paar
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