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Damenschneider

Damenschneider

Titel: Damenschneider
Autoren: Rupert Schöttle
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einem äußerst malerischer Stadtteil im siebten Gemeindebezirk beheimatet ist, dessen älteste Häuser noch aus dem 16. Jahrhundert stammen. Damals noch Vorstadt, war es während der ersten dreihundert Jahre seines Bestehens ein dicht besiedeltes Wohngebiet für ärmere Leute gewesen. Mit der Zeit hatte sich dessen Charakter jedoch grundlegend gewandelt. So war es bis in die Dreißigerjahre des 20. Jahrhunderts ein über die Grenzen Österreichs hinaus bekanntes Vergnügungsviertel für anspruchslosere Gemüter gewesen. Nach dieser letzten Blütezeit, die durch die Weltwirtschaftskrise ihr Ende fand, verfielen die Häuser in einem solchen Maße, dass sich in den Siebzigerjahren des 20. Jahrhunderts ein Eldorado für Immobilienspekulanten abzuzeichnen begann, die etliche dieser in bester Umgebung liegenden Ruinen aufkauften, mit dem Vorhaben, sie später abzureißen. Dies rief nun einige prominente Künstler auf den Plan, die solch schändliches Vorhaben mit allen Mitteln zu verhindern suchten, was schließlich in etlichen spektakulären Hausbesetzungen gipfelte. Durch solch Aufsehen erregendes Gebaren, im Gegensatz zum benachbarten Deutschland waren solche handstreichartigen Übernahmen in Österreich keineswegs üblich, wurde endlich die Stadt auf dieses Juwel aufmerksam und kaufte die Häuser kurzerhand auf, um sie zu revitalisieren. Mit Erfolg, ist doch der Spittelberg heute einer der reizendsten Gegenden, die Wien dem Flaneur zu bieten hat. Und inmitten dieser pittoresken Häuser, die den Vorstadtcharakter bis heute bewahrt haben, befindet sich das »Lux«, ein weitläufiges, aber ungeachtet dessen sehr gemütliches Restaurant. Dort hatten sich die beiden schon öfters getroffen, weil es nicht nur über eine vorzügliche Küche, sondern auch über eine Bar verfügte, wo ihnen eine zumindest oberflächliche Kontaktnahme zum anderen Geschlecht schon öfter gelungen war.
    Als Nekro das Restaurant betrat, sah er schon von Weitem seinen Freund, der dort bei einem Bier und seiner geliebten Virginier saß.
    Trotz des modern anmutenden Ambientes bietet die Speisekarte hierorts durchaus deftige Kost auf hohem Niveau, was dem Geschmack der beiden durchaus entgegenkam. Nachdem sich Nekro kurz im gut besuchten Gastzimmer umgesehen hatte, wobei er sein besonderes Augenmerk auf alleinstehende Frauen legte, die nach denen Ausschau halten, die ihren Missstand beheben könnten, nahm er nach einer kurzen Begrüßung bei seinem Freund Platz.
    »Na, wie sieht’s denn aus diese Woche? Gibt es wieder Arbeit für mich?«, fragte Volkhammer, während er genüsslich an seiner Zigarre zog.
    Da sich Volkhammer als Cellist verdingte, der hauptsächlich auf Bestattungen musizierte, verdienten die beiden Freunde ihr Geld in einem gleichsam miteinander verwandten Gewerbe, und es wäre nicht das erste Mal gewesen, dass der Musiker durch einen gezielten Tipp zu einem einträglichen Auftritt gekommen wäre.
    »Da hätte ich dich schon angerufen, aber diese Woche war wirklich mager«, antwortete Nekro bedauernd. »Ein Sandler, der tot in einem Park lag, eine weibliche Wasserleiche, die aus dem Donaukanal gefischt worden ist, dazu noch ein Selbstmord und ein altes Mutterl, von dem man geglaubt hat, dass seinem Tod nachgeholfen wurde. Die haben es diese Woche auf meinen Tisch geschafft, also keine Kundschaft, die sich einen Volkhammer zu ihrer Beerdigung leisten kann. Fast hätte es eh was gegeben. Da hat mich eine junge Frau angerufen und behauptet, ihre Freundin müsse obduziert werden, weil sie nicht an ihren natürlichen Tod glaube – das hat sich dann aber anscheinend von selbst erledigt.«
    »Wie kann sich denn so etwas von selbst erledigen?«, fragte Volkhammer verwundert.
    »Ich hab’ ihr halt gesagt, dass sie dazu das Einverständnis der nächsten Verwandten einholen müsse, erst dann könnte ich ihr helfen. Und danach hab’ ich nichts mehr von ihr gehört. Ich nehme an, dass besagte Dame bereits in der heiligen Erde des Zentralfriedhofs ruht.«
    »Eine Bestattung ohne meine tröstenden Celloklänge? Das kann nichts G’scheites gewesen sein …«
    »Wenn ich dich so anschaue mit deinem Bier, ich könnt’ eigentlich auch eins gebrauchen – und was zum Essen!«, sagte Necker entschlossen und winkte der Bedienung, der er gleich seine Wünsche mitteilte.
    Am Nebentisch saß ein junger Mann, der den beiden, von ihnen unbemerkt, die ganze Zeit interessiert zugehört hatte.
    Nachdem die Serviererin gegangen war, beugte er sich zu den
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