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Damenschneider

Damenschneider

Titel: Damenschneider
Autoren: Rupert Schöttle
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allwöchentlich einen Besuch zur Disposition des Würfels stellte, unter Punkt fünf.
    Denn Necker war ein chronisch unentschlossener Mensch.
    Bevor er auf die Idee mit dem Würfel verfallen war, bedauerte er jede Entscheidung, die er sich nach mühsamer Überlegung endlich abgerungen hatte, im gleichen Moment schon wieder, weil ja eine mögliche Alternative vielleicht doch die attraktivere Variante gewesen wäre.
    So ging es während des Prozesses der Entscheidungsfindung so lange hin und her, bis Necker endlich erschöpft aufgab – und nichts tat.
    Hätte er wie früher seiner Trägheit nachgegeben und seine Freizeit mit dem sinnlosen Konsum von seichter Fernsehunterhaltung verbracht, deren Berieselung er mit großen Mengen von Bier und Chips erträglicher zu gestalten versuchte, wäre er im Bewusstsein eventuell entgangener Möglichkeiten zutiefst deprimiert gewesen. Seitdem er jedoch würfelte, erkannte er auch dies als Wink des Schicksals und nahm es ohne Widerspruch hin.
    So war unter dem vierten Punkt, auch dieser kehrte regelmäßig wieder, die Alternative des gar nicht so süßen Nichtstuns vermerkt. Das immerhin war die sicherste Variante einer Abendgestaltung – denn wenn man nichts tat, konnte man auch nichts falsch machen.
    Mit der unter Punkt »drei« vermerkten Alternative begann der Teil der Optionen, der weniger von der Pflicht als von der Neigung bestimmt war.
    Als Spross einer gesellschaftlich angesehenen Familie konservativen Zuschnitts war es selbstverständlich gewesen, dass der kleine Erwin von seinen Eltern schon sehr früh mit dem breiten kulturellen Angebot seiner Geburtsstadt in Berührung gebracht wurde. Dabei stellte sich schon sehr bald sein Interessenschwerpunkt heraus. Während er bereits als Fünfjähriger mit großer Begeisterung der »Puppenfee« von Josef Bayer folgte, die an der Staatsoper traditionell um die Weihnachtszeit aufgeführt wird und deren Bühnenbild und Choreographie sich seit ihrer Uraufführung im Jahre 1888 nicht wesentlich verändert hat, überkam ihn bei Shakespeares »Sommernachtstraum« am Burgtheater schon nach wenigen Minuten der kindliche Schlaf, der erst durch den Beifall nach dem ersten Akt unterbrochen wurde. Der Vater hatte ihn immerhin gewähren lassen, denn wer schläft, quengelt nicht. Als er allerdings dazu Anstalten machte, nach der Pause wieder den Zuschauerraum zu betreten, zeigte sich das so rüde aus seinem Schlaf gerissene Kind dermaßen unwillig, dass sein Herr Papa sich ausnahmsweise einsichtig zeigte und zusammen mit seinem Sprössling den Heimweg einschlug. Was ihm selbst auch nicht ganz unrecht war, zumal ihm die moderne Inszenierung des Feenmärchens ganz und gar nicht behagte. Die bildungsbeflissenen Eltern ließen aber weiterhin nichts unversucht und schleppten ihren Sprössling schon wenig später in das »Theater in der Josefstadt«, wo zuweilen kindgerechtere Kost als in der Burg angeboten wurde. Doch selbst die Dramatisierung von Erich Kästners »Pünktchen und Anton« in den Kammerspielen vermochte den Knaben nicht von seiner einmal gefassten Antipathie gegen das Sprechtheater abzubringen. Dieses Mal schlief Erwin nicht, dafür jammerte er in einem fort, so dass sich die entnervte Mama, die dieses Mal den Opfergang auf sich genommen hatte, dazu gezwungen sah, das reizende Stück bereits während des ersten Aufzugs zu verlassen. Womit die Theaterbesuche zur offensichtlichen Erleichterung des Knaben für die nächsten Jahre gestrichen wurden.
    Ganz anders verhielt sich Erwin in der Oper. Nicht nur die »Puppenfee«, auch Tschaikowskys »Nussknacker« und Mozarts »Zauberflöte« verfolgte er mit kindlicher Neugierde. Selbst Smetanas »Verkaufte Braut« und Donizettis »L’elisir d’amore« ließ er, kaum zehnjährig, gerne über sich ergehen. Auch wenn er in den Klavierstunden, die nun einmal zur bürgerlichen Erziehung dazugehörten, eine äußerst unglückliche Figur machte, so dass die Lehrerin schon nach wenigen Jahren selbst davon abriet, ihn weiter unterrichten zu lassen, in die Oper ging er ausgesprochen gerne. Und das war bis heute so geblieben. Unter Punkt drei vermerkte er also einen Besuch in der Staatsoper, zumal heute eines jener Werke auf dem Spielplan stand, das Necker besonders schätzte: die »Salome« von Richard Strauss war mit all ihrer sinnlich berauschenden Musik nämlich kurz und blutig.
    Die Möglichkeit des Opernbesuchs hatte allerdings den Nachteil, dass sich Necker in einen Anzug hätte zwängen
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