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Daisy Sisters

Titel: Daisy Sisters
Autoren: Henning Mankell
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wenden und wegfahren, so schnell wie möglich, aber Vivi, ohne von der Antwort Notiz zu nehmen, fragt noch einmal, wo sie sind. Der Grenzsoldat Olle blinzelt sie an. Er hört, dass sie aus Skåne kommt, er selbst ist aus Växjö und hat Verwandte in Tomelilla. Er macht einen Schritt auf sie zu und beginnt mit dem geschickten kleinen Verhör, das vorgeschrieben ist, wenn Unbefugte innerhalb der Grenzzone entdeckt werden. Vivi antwortet munter, und ohne sich darum zu kümmern, dass sie die Regel bricht, die besagt, dass Zivilisten sich nach den Anordnungen des Militärs zu richten haben, fragt sie, ob es nicht eine Möglichkeit gäbe, die Grenze zu sehen.
    Olle beginnt plötzlich zu grinsen. »Na klar«, sagt er. »Kommt heute Abend wieder. Sieben Uhr. Pünktlich.«
    Und Vivi verspricht es, in beider – ihrem eigenen und Elnas – Namen.
    Olle winkt mit dem Gewehr, und sie schieben ihre Fahrräder den Weg, den sie gekommen sind, zurück. Vivi ist richtig aufgedreht, weil sie nun endlich die Grenze sehen werden. Aber Elna ist misstrauisch, beinahe ängstlich: »Was kann man am Abend schon sehen?«, fragt sie.
    »Vielleicht gibt es Scheinwerfer«, antwortet Vivi.
    »Sie kommen vielleicht gar nicht«, wirft Elna ein.
    »Dann gehen wir ohne sie«, antwortet Vivi. »Wir haben doch die Erlaubnis, oder nicht? Wir dürfen die Grenze sehen, wenn wir um sieben Uhr kommen.«
    Sieben Uhr, ja. Wie sollen sie wissen, wann das ist, keine von ihnen hat eine Uhr. Aber Vivi wischt den Einwand weg, es sind noch mindestens zwölf Stunden bis dahin, Zeit genug, auch dieses Problem zu lösen.
    »Wir wissen ja nicht mal, wie die heißen«, sagt Elna lahm.
    Vivi sieht sie verwundert an. »Was spielt das für eine Rolle?«
    Elna zuckt mit den Schultern, sie findet ihre Frage plötzlich auch dumm.
    Der Nebel löst sich auf, sie kommen an einen fast zugewachsenen Pfad und beginnen, die Räder einen Hang hinaufzuschieben. Sie suchen einen Badesee. Es ist noch immer früh am Tag, das Gelände wird immer unwegsamer, und es kommt wieder Nebel auf. Als sie den Rücken des Hügels erreicht haben, führt der Weg hinunter in eine Talsenke. Die Fahrräder hopsen über den wurzelbedeckten Weg, sie bremsen mit dem Rücktritt, und Vivi ruft Elna zu, sie habe Hunger und Durst. Wenn man doch dieses Weiße hier trinken könnte.
    Der Weg endet an einem kleinen unansehnlichen und verwitterten Hof. Ein niedriges graues Bauernhaus, bei dem dieSplitter der Holzwände an die Bartstoppeln eines Landstreichers erinnern, ein kleiner Viehstall und ein Klohäuschen. Eine schwarzweiße Kuh weidet an einem Hang, es raucht aus dem Schornstein. Der Hof taucht wie ein Geisterschiff aus dem Nebel auf. Sie stellen ihre Fahrräder ab und gehen zum Haus, um Milch zu kaufen, Butterbrote haben sie dabei, in einer Brotdose, die Elna unter Aufbietung all ihrer Überredungskunst von ihrem Bruder Arne geborgt hat. Elna klopft an die morsche Außentür, sie wissen inzwischen, dass Vivis Skånisch für die meisten Menschen hier im Grenzgebiet unverständlich ist.
    Niemand öffnet, und Elna zeigt verwundert auf die niedrigen Fenster. Die Gardinen sind vorgezogen. Sie fragen sich, ob die Bauersleute etwa noch schlafen, aber das ist kaum möglich. Der Schornstein raucht, und Leute mit einer Kuh sind Frühaufsteher. Elna klopft noch einmal, diesmal kräftiger, nicht nur mit dem Knöchel, sondern mit der Faust. Schließlich steht ein älterer Mann in der Tür und nickt. Elna knickst und sagt, dass sie Milch kaufen möchten. Er antwortet nicht sofort, scheint nachzudenken, bevor er zur Seite tritt und sie hereinbittet. In der fast dunklen Küche sind vier Personen. Zwei Frauen und zwei Kinder, ein Junge und ein Mädchen. Die jüngere Frau, sie ist ungefähr dreißig, sieht verschreckt auf. Die ältere kämmt weiter die Haare des Mädchens, sucht nach Läusen. Der Junge, fünf oder sechs Jahre alt, sitzt auf dem Boden und umklammert ein Stück Brennholz.
    »Sie wollen nur Milch kaufen«, sagt der Mann. »Einen Liter haben wir immer.« Die ältere Frau nickt freundlich, zustimmend. »In Ordnung, nur einen Liter«, sagt sie. »Mehr können wir nicht entbehren.«
    Der Mann führt sie hinaus zur Rückseite des Hauses, wo ein Erdkeller in den Hang gegraben ist. Er fragt, wie es möglichsei, dass sie sich in diesem abgelegenen Teil der Welt befänden. Er lächelt, als er Vivis Dialekt hört, vermutlich versteht er nichts von dem, was sie sagt. Er gießt gut einen Liter von der duftenden Morgenmilch
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