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Robin und Gott

Robin und Gott

Titel: Robin und Gott
Autoren: Sjoerd Kuyper
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Anker

    Wenn Mama abends vorliest, muss Robin sich in sein Bett legen. Mama setzt sich auf den Stuhl am Kopfende und liest vor. Das ist toll.
    Wenn Papa abends vorliest, muss sich Robin in das große Bett legen, zusammen mit Papa, und dann liest Papa vor. Das ist auch toll, aber ein bisschen umständlich. Denn dann muss Robin zuerst in das kalte, große Bett, und gerade wenn ihm ein bisschen warm geworden ist, muss er in sein eigenes kaltes Bett. Wenn Oma und Opa da sind, liest Opa vor. Das ist am schönsten. Denn Opa liest unten vor, im Wohnzimmer, neben dem Ofen. Wenn Opa vorliest, darf Robin auf seinem Schoß sitzen und Opa legt die Arme um ihn. So liest Opa vor.
    Heute auch.
    Es ist fast Weihnachten. Opa und Oma sind gekommen. Sie bleiben sehr lange. Sie bleiben, bis wirklich Weihnachten ist, das alte Jahr zu Ende geht, das neue Jahr beginnt und dann noch ein Weilchen länger.
    Es ist Abend. Es ist schön warm im Zimmer. Papa, Mama und Oma sitzen am Tisch. Sie spielen Karten. Suse ist schon im Bett. Suse ist Robins Baby-Schwesterchen. Robin sitzt auf Opas Schoß. Zusammen mit Knor dem Schweinchen, Robins dickem Freund und Schmusetier. Sie sitzen im Sessel neben dem Ofen. Opa liest vor.

    Es ist die Geschichte vom Fischer und seiner Frau. Robin hat die Geschichte schon hundert Mal gehört. Er kann sie schon fast auswendig. Aber er will sie immer wieder hören.
    Der Fischer wohnt mit seiner Frau in einem umgedrehten Pisspott dicht an der See. Er ist zufrieden, aber seine Frau nicht. Eines Tages fängt er einen Fisch, der sprechen kann. Er wirft den Fisch zurück ins Meer und hat dafür einen Wunsch frei. Er weiß einfach nicht, was er sich wünschen soll, seine Frau dagegen schon. Sie will ein Haus. Ein richtiges Haus. Mit einem Schornstein. Diesen Wunsch erfüllt ihnen der Fisch. Aber die Frau ist noch nicht zufrieden. Sie will ein Schloss. Ein richtiges Schloss. Mit Türmen. Auch diesen Wunsch erfüllt ihnen der Fisch...
    Opa hat eine Brummstimme. Manchmal legt Robin sein Ohr an Opas Brust. Dann kommt die Stimme nicht mehr aus Opas Mund, sondern aus seiner Brust. Durch seine Rippen und seine Haut nach draußen. Dann klingt die Stimme noch brummiger. Es kribbelt an Robins Ohr.
    Robin guckt auf Opas Uhr. Unter der Uhr ist etwas Schönes zu sehen. Etwas Wunderschönes. Robin schiebt die Uhr an Opas Arm ein kleines Stückchen hoch. Und da... da ist es. Auf Opas Arm ist ein Anker. Nicht gemalt, nein, das geht nie mehr ab! Es ist ein kleiner blauer Anker. Es ist eine Tätowierung.
    Früher war Opa Matrose. Er fuhr auf einem Schiff. Den ganzen Tag schwammen große Haie um das Schiff herum. Die Haie waren so groß wie das Wohnzimmer und die Küche von Opa und Oma. Das erzählt Opa oft. Als er Matrose war, hat er sich den Anker auf den Arm machen lassen.
    Aber nun liest Opa vor: Die Frau des Fischers ist immer noch nicht zufrieden. Nun will sie auch noch Kaiserin vom ganzen Land werden. Und das wird sie auch...
    „Opa“, sagt Robin, „willst du nicht die Geschichte vom Anker erzählen?“
    Er will das Ende der Geschichte vom Fischer und seiner Frau noch nicht hören. Das findet er immer so unheimlich.
    Opa erzählt die Geschichte vom Anker.
    „Eines Tages, vor langer Zeit“, sagt er, „war ich in einem Hafen in einem fernen Land. In China. Die Menschen dort sprechen Chinesisch. Aber das war nicht schlimm, denn das konnte ich auch.“
    „Sag mal was auf Chinesisch“, sagt Robin.
    „Diang-deng“, sagt Opa.
    „Was heißt das?“, fragt Robin.
    „Das bedeutet elektrisches Licht“, sagt Opa.
    Robin nickt. Diang-deng. Elektrisches Licht. Schön klingt das.
    „Und dann?“, fragt er.
    „Nun“, sagt Opa, „da war ein Mann...“
    „Ein Chinese?“, fragt Robin.
    „Natürlich“, sagt Opa. „In China sind alle Menschen Chinesen. Und der Mann, der Chinese, der konnte tätowieren. Ich ging zu ihm. Zuerst zeichnete er den Anker auf den Arm und danach pikste er winzig kleine Löcher in die Linien der Zeichnung.“
    „Mit einer Nadel?“, fragt Robin.
    „Mit einer Nadel“, sagt Opa.
    „Hat es wehgetan?“, fragt Robin.
    „Ach“, sagt Opa, „ein bisschen schon. Aber ein Matrose weint nicht so schnell, weißt du.“
    Robin nickt.
    Das weiß er wohl.
    „Und dann“, sagt Opa, „dann schmierte er Tinte in die kleinen Löcher. Und die Tinte, die kann nie wieder raus. Deshalb kann man den Anker nie mehr von meinem Arm abwaschen. Er bleibt immer da.“
    Zum Glück, denkt Robin. Er streichelt über die
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