Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Dämonentor

Dämonentor

Titel: Dämonentor
Autoren: Charles Stross
Vom Netzwerk:
irgendwelche
Gruselgestalten wären plötzlich aus der Wand gekommen, hätten sich auf ihn
gestürzt und ihn als Leckerbissen verspeisen wollen – dann hätte er sich
vielleicht von der Stelle bewegt.«
    »Es war also ein abgekartetes Spiel?«, frage ich
ungläubig.
    Boris nickt. »Ein gelungenes abgekartetes Spiel.«
    »War es das denn wert?«, will ich wissen. »Ich meine,
schließlich habe ich diesem armen Schwein die Arbeit von sechs Monaten zerstört
–«
    Boris nickt angemessen bedächtig und schiebt eine
offiziell aussehende Memo-Mappe über den Tisch. Sie hat einen rotgelb
gestreiften Zickzackrand und die Wörter STRENG GEHEIM sind darauf gestempelt.
Ich öffne sie und schaue auf die Titelseite: Einige Überlegungen
hinsichtlich eines Beweises für die Polynom-Ganzheit bei Hamiltonischen
Netzwerken. Darunter steht: Formaler Richtigkeitsbefund. Offenbar
ist einer unserer Wunderknaben über Nacht schon zu Gange gewesen, um das
Theorem auf Herz und Nieren zu prüfen. »Hat er das Turing-Ergebnis wiederholt?«
    »Leider schon«, sagt Boris.
    Harriet nickt. »Du willst wissen, ob sich letzte Nacht
gelohnt hat, Bob. Das hat es. Wenn du keinen Erfolg gehabt hättest, wären wir
vielleicht gezwungen gewesen, weitreichende Maßnahmen zu ergreifen. Das ist
natürlich immer möglich, aber meistens versuchen wir, solche Angelegenheiten so
unauffällig wie möglich zu bereinigen.«
    Ich nicke und klappe die Mappe zu, um sie dann wieder
Boris zuzuschieben. »Was steht noch auf der Agenda?«
    »Pünktlichkeit«, sagt Harriet. »Es macht mir etwas
Sorgen, dass du heute Morgen nicht rechtzeitig zur Nachbesprechung kommen
konntest. So läuft das hier nicht, das ist dir doch klar«, fügt sie hinzu. (Andy,
der mehr oder weniger weiß, wie ich ticke, schweigt.)
    Ich starre sie an. »Wie du weißt, habe ich sechs
Stunden in einem nassen Gebüsch gestanden und bin dann in ein Büro
eingebrochen. Und das nach einem vollen Arbeitstag.« Ich lehne mich nach
vorn und komme richtig in Fahrt: »Falls du es vergessen haben solltest, war ich
gestern bereits um acht Uhr hier. Dann hat Andy mich nachmittags um vier
gebeten, euch bei dieser Sache zu helfen. Hast du jemals versucht, um zwei Uhr
morgens, wenn du bis auf die Knochen nass bist, mit dem Nachtbus von Croxley
ins East End zu kommen, während es wie aus Eimern schüttet und die einzigen
anderen Leute an der Bushaltestelle eine ziemlich dubiose Gestalt und ein Besoffener
sind, der noch dazu wissen will, ob du ihn für eine Nacht bei dir aufnehmen
kannst? Für mich machen das insgesamt zwanzig verdammt harte Stunden Arbeit.
Soll ich dir meine Überstunden aufschreiben?«
    »Du hättest trotzdem anrufen können«, erwidert sie
gereizt.
    Ich werde diese Auseinandersetzung nicht gewinnen,
auch wenn ich weiß, dass ich die besseren Argumente habe. Es lohnt sich nicht,
mit meiner direkten Vorgesetzten wegen solcher Banalitäten einen Streit vom
Zaun zu brechen. Ich lehne mich also zurück und gähne, wobei ich versuche,
nicht allzu viel Rauch einzuatmen.
    »Fahren wir mit der Tagesordnung fort«, sagt Andy.
»Was geschieht mit Dr. Malcolm Denver? Wir müssen handeln, das zeigt dieses
Papier eindeutig, so etwas können wir nicht einfach herumliegen lassen. Dafür
ist es schlichtweg zu nahe an der Wahrheit. Wenn er das veröffentlicht und
reproduziert, könnten wir uns innerhalb weniger Wochen einem Realitätsausfall
Stufe Eins gegenübersehen. Aber wir dürfen diesmal auch nicht alles wie üblich
stillschweigend unter den Teppich kehren. Die Aufsichtsabteilung würde uns an
die Gurgel gehen. Gibt es irgendwelche Vorschläge? Aber nur brauchbare, Bob.«
    Harriet schüttelt den Kopf. Boris sitzt regungslos da
und ist einfach Boris. (Boris gehört zu Angletons unheimlichen Handlangern. Ich
vermute mal ganz stark, dass er in einem früheren Leben die zaristischen Feinde
im Auftrag der Ochrana eingefroren hat oder Berias Mundschenk war. Jetzt
verwandelt er sich bei internen Anfragen nur noch in die Berliner Mauer.) Andy
tippt mit dem Zeigefinger auf den Tisch. »Warum machen wir ihm nicht ein
Angebot, für uns zu arbeiten?«, schlage ich vor. Harriet schaut betont in eine
andere Richtung. Sie ist, wie gesagt, meine direkte Vorgesetzte und will
deshalb deutlich signalisieren, dass dieser Vorschlag bestimmt nicht ihren
Segen hat.
    »Na ja –« Ich zucke mit den Schultern und überlege, wie
ich meine Idee am geschicktesten verkaufen könnte. »Er hat das
Turing-Lovecraft-Theorem quasi von Null
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher