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Dämonentor

Dämonentor

Titel: Dämonentor
Autoren: Charles Stross
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Malcolm
seinen Text wiederhaben will, muss er die Hilfe des GCHQ, also des britischen Geheimdienstes,
in Anspruch nehmen.
    Wieder summt mein Piepser. LAGREP. Ich tippe drei
weitere Zahlen in mein Handy und verlasse Malcolms Arbeitsplatz. Hastig steige
ich auf den chaotischen Schreibtisch am Fenster und verschwinde mit einem
Sprung in der kalten Frühlingsnacht. Draußen ziehe ich mir die Latex-Handschuhe
von den Fingern und winke mit befreiten Händen dem Mond zu.
    Ich bin so erleichtert, dass mir der umgestoßene
Stapel Disketten erst wieder einfällt, als ich schon im Nachtbus auf dem Weg
nach Hause bin.
     
    Als das Handy klingelt, liege ich im Tiefschlaf.
    Das Telefon steckt von letzter Nacht noch in meiner
Jackentasche, sodass ich ein Weilchen verschlafen auf dem Boden herumtaste,
während es fröhlich vor sich hin surrt. »Hallo?«
    »Bob?«
    Es ist Andy. Ich versuche, ein Stöhnen zu unterdrücken.
»Wie viel Uhr ist es?«
    »Halb zehn. Wo steckst du?«
    »Im Bett. Was ist –«
    »Ich dachte, du würdest dich bei der Nachbesprechung
blicken lassen. Wann kannst du hier sein?«
    »Mir geht es nicht so toll. Bin erst gegen halb drei
nach Hause gekommen. Warte mal … Ginge elf?«
    »Muss es wohl.« Er klingt verschnupft. Andy soll sich
bloß nicht so haben! Schließlich war er nicht derjenige, der sich vergangene
Nacht den Hintern abgefroren hat. »Bis nachher also.« Er muss das implizierte Sonst
… nicht einmal laut aussprechen. Der Geheimdienst Ihrer Majestät hat noch
nie viel von revolutionären Konzepten wie Gleitzeit und menschenwürdigen
Arbeitsstunden gehalten.
    Müde stolpere ich ins Bad und starre beim Pinkeln auf
den dünnen Rand aus schwarzem Schimmel, der sich um das Fenster bildet. Ich bin
allein im Haus; die anderen sind entweder zur Arbeit oder für immer weg. (Das
heißt, Pinky und Brain sind bei der Arbeit, während Mhari sich endgültig aus
dem Staub gemacht hat.) Ich nehme meine fast schon antike Zahnbürste und
absolviere mein morgendliches Ritual. Wenigstens ist die Heizung an. Unten in
der Küche fülle ich die Espressokanne mit atombombenstarkem Kaffeepulver und
stelle sie auf den Gasherd. Wahrscheinlich schaffe ich es tatsächlich bis elf
in die Wäscherei und habe sogar noch Zeit, richtig zu mir zu kommen.
Schließlich muss ich für das Meeting fit sein. Ist letzte Nacht wirklich alles
gut gelaufen? Jetzt, wo ich nichts mehr machen kann, fallen mir die Disketten
ein.
    Lähmendes Grauen ist ja recht nett, wenn man sich vor
dem Fernseher räkelt und einen Slash-Film reinzieht. Aber es macht schon
wesentlich weniger Spaß mit einem halben Liter starken Kaffee intus.
Albtraumartige Bilder flackern kurz vor meinem inneren Auge auf: schriftliche
Abmahnungen, Arbeitslosigkeit, Strafanzeige wegen Teilnahme an einem geheimen
Auftrag, der im Nachhinein nicht mehr autorisiert war. Am schlimmsten aber ist
die Vorstellung, dass ich nach Hause kommen und Mhari zusammengerollt auf dem
Sofa im Wohnzimmer entdecken könnte. Dieses Bild sollte ich lieber gleich wieder
streichen.
    Die Traurigkeit, die sich für einen Moment in mir
auszubreiten droht, wird von einem Gefühl tiefer Erleichterung abgelöst,
gewürzt mit ein bisschen Einsamkeit. Die Einsamkeit des Spions, der aus der
Kälte kommt? Verdammt. Ich sollte mich wirklich zusammenreißen. Schließlich bin
ich weder Smiley noch James Bond und leider gibt es auch keine sexy KGB-Miezen,
die mich in jedem Hotelzimmer dieser Welt vernaschen wollen. Das gehört zu den
ersten Dingen, die man in der Capital Wäscherei lernt (»Wäscht weißer als
weiß!«): Das Leben ist kein Spionagefilm, Arbeit hat nichts Romantisches, und
unser Job ist nicht besonders aufregend. Vor allem dann nicht, wenn man in
einer verregneten Nacht im Gebüsch irgendeiner Firma herumlungern muss und sich
dabei die Eier abfriert.
    Manchmal bedauere ich es wirklich, nicht die
Gelegenheit beim Schopf gepackt und Buchhaltung studiert zu haben. Das Leben
könnte so viel mehr Spaß machen, wenn ich nur damals am Anfang meiner  Universitätslaufbahn
auf die Studienberatung gehört hätte … Aber ich brauche das Geld, und
vielleicht bekomme ich ja bald mal etwas Spannenderes. Bis dahin bleibe ich bei
meinem Job, denn die Alternativen sind auch nicht besser.
    Mit solchen Überlegungen mache ich mich auf den Weg
zur Arbeit.
     
    Die Londoner U-Bahn ist nicht gerade für ihre
zahlreichen Toiletten bekannt. Darum wissen nur die wenigsten, dass es in der
Station Mornington Crescent sogar ein
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