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Dämmerschlaf - Roman

Dämmerschlaf - Roman

Titel: Dämmerschlaf - Roman
Autoren: Edith Wharton
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auch – wenn sie will!»
    Die Tür öffnete sich, Lita kam zurückgeschlendert und ließ sich auf ihren Stuhl fallen. Mit verächtlichem Kopfschütteln lehnte sie den angebotenen Pilaw ab. Es herrschte kurzes Schweigen.
    «Und, was gibt’s für Neuigkeiten?», fragte Jim.
    Seine Frau hob die feinen Brauen. «Neuigkeiten? Ich dachte, dafür sorgst du. Ich bin gerade erst aufgewacht.»
    «Ich mein e …» Aber er brach ab und bedeutete dem Butler, seinen Teller abzuräumen. Wieder ergab sich eine Pause; dann drehte sich Litas kleiner Kopf auf dem langen Fragezeichenhals zu Nona. «Anscheinend speisen wir heute Abend im Palazzo Manford. Wusstest du das?»
    «Ob ich das wusste? Aber Lita! Ich bekomme seit Wochen nichts anderes zu hören. Es ist das alljährliche Festessen für die Marchesa.»
    «Mir hat niemand etwas gesagt», versetzte Lita gelassen. «Ich bin leider verabredet.»
    Jim hob ruckartig den Kopf. «Du hast das vor vierzehn Tagen erfahren.»
    «Ach, vor vierzehn Tagen! Das ist zu lang her, als dass man sich an etwas erinnern könnte. Das ist so, wie wenn Nona zu mir sagt, ich solle meinen Salon schön finden, nur weil ich ihn vor zwei Jahren schön fand.»
    Ihr Mann errötete bis in die Wurzeln seiner hellbraunen Haare. «Findest du ihn denn nicht mehr schön?», fragte er mit einer Art knabenhaftem Entsetzen.
    «So, jetzt ist Lita glücklich! Jetzt hat sie erreicht, was sie wollte!» Nona lachte ein wenig nervös.
    Lita fiel in das Lachen ein. «Ist er nicht wie seine Mutter?», fragte sie mit einem Achselzucken.
    Jim schwieg, und seine Schwester vermutete, dass er Angst hatte, auf der Essenseinladung zu bestehen, um der Entschlossenheit seiner Frau, sie zu ignorieren, nicht noch Vorschub zu leisten. Aus demselben Grund hielt sich auch Nona zurück und sagte nichts mehr, und der Lunch endete in belanglosem Geplapper über andere Dinge. Aber es verblüffte Nona, dass es bei dem Anruf ihres Vaters darum gegangen sein sollte, dass Lita heute Abend bei ihm zu Hause speiste. Überhaupt von allein daran zu denken sah Dexter Manford nicht ähnlich (wie Miss Bruss’ verzweifelter Anruf bezeugte), und noch weniger sah es ihm ähnlich, die Gäste seiner Frau daran zu erinnern, selbst wenn er wusste, wer zu ihnen zählte – was selten zutraf. Nona überlegte. «Sie wollten offenbar zusammen irgendwo hingehen – er sagte, er sei heute Abend verabredet –, und Lita ärgert sich, weil es nun nicht klappt. Aber schließlich ärgert sie sich heute über alles.» Nona versuchte, mit dieser Erklärung ihre Verlegenheit zu kaschieren. Sie fragte sich, ob sich auch Jim damit zufriedengab.
    4
    Es ließ sich wohl schwerlich ein größerer Gegensatz finden, dachte Nona Manford, als der zwischen Lita Wyants Haus und jenem, vor dem sie zwei Stunden später aus Lita Wyants schickem Brewster 15 ausstieg.
    «Du willst bestimmt nicht mitkommen, Lita?» Die junge Frau blieb stehen, die Hand an der Autotür. «Er würde sich schrecklich freuen.»
    Lita lehnte mit einem Kopfschütteln ab. «Ich bin nicht in Stimmung.»
    «Aber er ist sehr amüsant – er kann äußerst unterhaltsam sein.»
    «Oh, er ist ein Spleen von dir, aber für mich wäre das eine Verpflichtung, und mir ist gerade nicht nach Verpflichtungen.» Lita winkte mit ihrer Blumenhand und war fort.
    Nona stieg die pockennarbigen braunen Stufen hinauf. Dies war das Haus der alten Mrs Wyant, eine verblichene, heruntergekommene Behausung in einer Straße, an der das elegante Geschäftsleben seit Langem vorbeifloss. Nach dem Tod seiner Mutter hatte Wyant das Haus aus wirtschaftlichen Gründen in kleine Wohnungen unterteilt. Eine behielt er für sich, und in der darüberliegenden wohnte die frühere Hausgenossin seiner Mutter, jene arme Cousine, die der Grund für seine Scheidung gewesen war. Wyant hatte sie nie geheiratet, aber auch nie verlassen; das sagte einiges über seinen Charakter aus, fand Nona. Wenn er krank war – er hatte ziemlich früh eine merkwürdige nervöse Hypochondrie entwickelt –, kam die Cousine herunter und pflegte ihn; wenn es ihm gut ging, zeigte sie sich nie vor seinen Besuchern. Aber es hieß, sie kümmere sich um die Flickwäsche, behalte einigermaßen den Überblick über seine Rechnungen und verhindere, dass er eine Beute gewissenloser Schurken wurde. Pauline Manford meinte, so sei es wahrscheinlich am besten. Sie selbst hätte es nur natürlich und anständig gefunden, wenn ihr früherer Mann seine Cousine geheiratet hätte; da er dies nicht
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