Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Dämmerschlaf - Roman

Dämmerschlaf - Roman

Titel: Dämmerschlaf - Roman
Autoren: Edith Wharton
Vom Netzwerk:
anscheinend, welch ein Wunder es ist, dass ein Mädchen wie Lita, um das sich niemand kümmert als die arme Kitty Landish, überhaupt einen solchen Ehemann bekommen hat!»
    Nona beharrte auf ihrem Standpunkt. «Mag sein, aber nimm nur dich selbst, Mutter! Haben nicht fast alle einander irgendwann satt? Und wenn es so weit ist: Hält sie irgendetwas davon ab, es noch einmal zu versuchen? Denk an deine großen Dinner! Muss Maisie nicht jedes Mal eine Liste verflossener Ehen anfertigen, so kompliziert wie ein Kreuzworträtsel, um zu verhindern, dass du die Gäste mit falschem Namen ansprichst?»
    Mrs Manford tat den Angriff mit einer Handbewegung ab. «So sind Jim und Lita nicht; und ich mag es nicht, wie du über das Thema Scheidung sprichst, Nona» hatte sie in für ihre Verhältnisse ziemlich zahmem Tonfall hinzugefügt; schließlich – wie Nona ihr leicht hätte vorhalten können – variierten ihre eigenen Äußerungen zum Thema Scheidung in peinlicher Weise je nach Zeit, Ort und Scheidungsfall.
    Das junge Mädchen hatte mehr als genügend Zeit, sich dieses Gespräch in Erinnerung zu rufen, während sie dasaß und auf ihren Bruder und seine Frau wartete. In dem neu eingerichteten, bewusst kahlen Haus schien es niemanden zu geben, der sie begrüßen wollte. Das Baby, nach dem sie gleich anfangs gefragt hatte, schlief, seine Mutter war wahrscheinlich noch gar nicht aufgewacht, und das Familienoberhaupt befand sich noch «im Geschäft». Nona sah sich im Salon um, und Befremden erfasste sie – was in letzter Zeit immer öfter geschah.
    Der Salon, so wurde ihr plötzlich bewusst, war das vollkommene Abbild einer modernen Ehe. Trotz seiner wohlgesetzten Effekte, der fast zwanghaften Berücksichtigung von Licht und Schatten, von Komplementärfarben und all dem Zeug, das einem modernen Innenarchitekten den Schlaf raubt, glich er mehr dem Wartesaal eines besseren Bahnhofs als dem Schauplatz eines gediegenen Lebens. Nichts darin wirkte heimelig oder behaglich – von dem frühen Kakemono 13 eines bärtigen Weisen auf blasser, lederfarbener Seidentapete bis zu den drei Iris Susiana, die auf dem Ödland eines ansonsten leeren Tischs einsam in einer weißen Song-Vase 14 standen. Lediglich die unruhigen Bewegungen der exotischen Goldfische in einem riesigen Kugelaquarium brachten etwas Leben in den Raum, und auch das nur vorübergehend, da Lita darauf bestand, das Aquarium Tag und Nacht mit elektrischem Licht zu beleuchten, und die Fische ohne Schlaf immer starben und durch neue ersetzt werden mussten.
    Das Haus und die Einrichtung hatte Mrs Manford bezahlt. Es war nicht das, was sie sich für sich selbst ausgesucht hätte – sie war, was die neue Kargheit und wählerische Raffinesse betraf, noch nicht ganz auf der Höhe der Zeit. Aber sie hätte auch nicht gewollt, dass das junge Paar in der üppigen Kulisse aus Gobelins und «Stilmöbeln» lebte, die sie selbst bevorzugte. Vor allem wünschte sie, dass sie Schritt hielten, dass sie taten, was auch die anderen jungen Paare taten; sie hatte sogar – nach dem ersten Schrecken – Litas schwarzes Boudoir verdaut, mitsamt der Unzahl ebenholzschwarzer Samtkissen und der darauf herabblickenden Skulptur, deren Unanständigkeit Mrs Manford mit der Bemerkung zu verharmlosen suchte, ihres Wissens sei dies kubistisch. Nach allem, was sie getan hatte, fand sie es herzlos, dass Nona andeutete, Lita könnte Jims überdrüssig werden.
    Der Gedanke hatte Nona eigentlich nie beunruhigt, zumindest nicht bis vor Kurzem. Auch jetzt hatte sie keinen konkreten Verdacht, es stellte sich ihr nur die unbestimmte Frage: Was würde eine Frau wie Lita tun, wenn sie das Leben, das sie führte, plötzlich sattbekäme? Aber diese Frage kehrte so oft wieder, dass sie heute Morgen mit ihrer Mutter darüber hatte reden wollen; denn wen sonst hätte sie um Rat fragen sollen? Arthur Wyant? Ach, der arme Arthur war nicht einmal fähig, seine eigenen armseligen kleinen Angelegenheiten einigermaßen vernünftig oder konsequent zu ordnen, und auf die Andeutung, jemand könne Jims überdrüssig werden, hätte er genauso empört reagiert wie Mrs Manford, allerdings ohne wie sie die eigenen Gefühle unter Kontrolle halten zu können.
    Dexter Manford? Na j a … Dexter Manfords Tochter musste zugeben, dass es eigentlich nicht seine Sache war, wenn die Ehe seines Stiefsohns zu scheitern drohte, und außerdem wusste Nona, wie überlastet ihr Vater immer war, und sie schreckte davor zurück, ihm diese zusätzliche Last
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher