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Dämmerschlaf - Roman

Dämmerschlaf - Roman

Titel: Dämmerschlaf - Roman
Autoren: Edith Wharton
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die Frauen in Dämmerschlaf zwar frei, verglichen mit denen in Edith Whartons früheren Romanen, aber sie wissen nichts mit ihrer Freiheit anzufangen. Sie langweilen sich. Sie schauen nicht in die Welt. Sie haben den Krieg vergessen. Sie kennen kein Elend. Sie engagieren sich gleichermaßen für die uneingeschränkte Mutterschaft wie für die Geburtenkontrolle, möglicherweise sogar mit denselben Argumenten – wie Pauline, als sie ihre Rede, die sie vor den Vertreterinnen der uneingeschränkten Mutterschaft halten sollte, mit jener verwechselt, die an das Komitee zur Geburtenkontrolle gerichtet war. Pauline füllt die Leere in ihrem Leben mit einem gnadenlosen Stundenplan, der sie von eurythmischen Übungen zur Gesichtsmassage zu Wunderheilern, Komiteesitzungen und Partyplanungen hetzt. Sie verlangt sich, so lächerlich ihre Tätigkeiten im Einzelnen auch sein mögen, immerhin noch etwas ab. Die nächste Generation aber ist völlig verloren. Lita füllt die Leere in sich nur noch mit einem Gähnen.
    Wunderheiler übrigens spielten so wie heute auch damals in New York tatsächlich eine herausragende Rolle. Ihre Popularität unterlag schnell wechselnden Moden. Sicher bekannt war Edith Wharton einer der Großen jener Zunft, Émile Coué. Sein Buch Self Mastery Through Conscious Autosuggestion kam 1922 heraus und war ein durchschlagender Erfolg. Émile Coué war ein französischer Apotheker und Psychologe, der als Entdecker des Placeboeffekts gelten kann und die Segnungen der Selbsthypnose für ein schmerzfreies Leben erforschte, wofür ihm nicht nur die New Yorker begeistert Gefolgschaft leisteten. Die verschiedenen Heiler in Dämmerschlaf könnten seine Schüler sein.
    In Dämmerschlaf passiert eine Menge. Diverse Familienangelegenheiten müssen geklärt oder unter den Teppich gekehrt werden; vor allem das drohende Zerwürfnis zwischen Lita und Jim gilt es zu verhindern, aber auch Arthur, der erste Ehemann Paulines, verlangt nach ihrer Aufmerksamkeit. Obwohl Pauline ihm alle paar Wochen einen kurzen Zeitraum in ihrem nahtlos gefüllten Terminkalender einräumt, ist er immer gefährdet, sich in Depressionen fallen zu lassen, und dass er mehr trinkt, als in Paulines Kreisen als schicklich gilt, macht die Sache nicht besser. Außerdem ist da noch Dexter, Paulines zweiter Ehemann. Ihm hängen die Partys und Empfänge, die seine Frau organisiert, zum Hals heraus, sie selbst wahrscheinlich auch, und so gibt er sich beschäftigt. Was genau er tut – er ist Anwalt –, das erfahren wir nicht im Detail, denn im Wortsinn gearbeitet wird eigentlich nicht in diesem Buch. Ebenso wenig erschließt sich uns, womit sich Jim, dem Dexter eine Stellung verschafft hat, so sehr heruntergewirtschaftet hat, dass er unbedingt einen ausgedehnten Urlaub braucht. Sind es einzig die Ansprüche seiner Frau, die er nie befriedigen kann? Ahnt er, dass er sein Leben mit der Entscheidung für diese Frau schon an die Wand gefahren hat? Möglicherweise ist es einfach sehr anstrengend, ununterbrochen die Augen zusammenzukneifen und die Ohren zu verschließen, damit keine Ahnung eines Gerüchts oder gar der offensichtliche Beweis für Litas Untreue in sein Bewusstsein gelangen. Möglicherweise sind alle immer so erschöpft, weil ihre Aufmerksamkeitsspanne so klein ist. «… eine Stunde [ist] zu lang zum Meditieren», sagt Pauline einmal, «eine Stunde ist für alles zu lang.»
    Diese vielen Plots und Unterplots sind nur lose miteinander verwoben. Doch es wäre naiv anzunehmen, dies sei Edith Wharton gleichsam unterlaufen, als eine Folge ihres vielen und schnellen Schreibens. Vielmehr spiegelt sich hier die Ruhelosigkeit, von der die Handlung des Romans durchzogen ist. Es ist die Ruhelosigkeit, aus der jene Methode Rettung verspricht, die dem Roman seinen Titel gibt.
    Dämmerschlaf ist der halbbewusste Zustand, der durch eine Mischung aus Morphium und Scopolamin herbeigeführt wird. Mit dieser Form der Betäubung, die Anfang des 20. Jahrhunderts in Deutschland erfunden wurde und bald auch in den Vereinigten Staaten Anwendung fand, wurden noch bis in die Siebzigerjahre hinein Frauen vermeintlich vor Geburtsschmerzen bewahrt – so wie Lita, der Pauline zur Geburt ein Zimmer in einer entsprechenden «Dämmerschlaf-Klinik» verschafft. Allerdings hatte das Drogengemisch starke Nebenwirkungen, nämlich erschreckende halluzinogene Effekte, welche die Methode früh schon ins Gerede brachten. In Edith Whartons Roman spielen sie keine Rolle. Bei ihr ist der auf
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