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Dämmerschlaf - Roman

Dämmerschlaf - Roman

Titel: Dämmerschlaf - Roman
Autoren: Edith Wharton
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polierten Leitungen, Waagen und geheimnisvollen Apparaten zum Duschen, für Gymnastik und «Körperkultur» wie ein biologisches Labor aussah, und dachte voll Dankbarkeit daran, dass einzig die eurythmischen Übungen des Mahatma («heilige Ekstase» nannte er sie) ihren Hüftumfang reduziert hatten, nachdem alles andere fehlgeschlagen war. Und diese Dankbarkeit für die verschlankten Hüften ruhte in ihrem wohlsortierten Kopf auf einer Karteikarte in derselben Schublade wie der begeisterte Glaube an seine wunderbaren mystischen Lehren über Selbstaufgabe, ein früheres Leben und astrale Seelenverwandtschafte n … Alles so unbegreiflich und rei n … Ja, selbstverständlich würde sie den Mahatma einladen. Es würde dem Kardinal guttun, sich mit ihm zu unterhalten. Sie hörte schon förmlich, wie Seine Eminenz mit vor Ergriffenheit bebender Stimme sagte: «Mrs Manford, ich möchte Ihnen danken, dass Sie mich mit diesem wunderbaren Mann bekannt gemacht haben. Wenn Sie nicht gewesen wäre n …»
    Ach, wie gern hörte sie, wenn Gäste zu ihr sagten: «Wenn Sie nicht gewesen wäre n …!»
    Das Telefon auf ihrem Toilettentisch klingelte. Miss Bruss hatte vom Boudoir aus weiterverbunden. Als Mrs Manford den Hörer abhob, warf sie einen nervösen Blick auf die Uhr. Sie kam bereits sieben Minuten zu spät zum Onduliere n …
    Ah, es war Dexters Stimme. Automatisch ordnete sie ihre Gesichtszüge zu einem ehefraulichen Lächeln und verlieh ihrer Stimme den dazugehörigen Tonfall. «Ja ? … Pauline, Liebste r … Oh – wegen des Dinners heute Abend? Na, du weißt doch, Amalasunth a … Du gehst mit Jim und Lita ins Theater? Aber Dexter, das geht nicht! Die essen auch hier, Jim und Lit a … Aber natürlic h … Ja, das muss ein Missverständnis sein; Lita ist so schusseli g … Ich wei ß …» Das Lächeln wirkte plötzlich ein wenig gequält und die Stimme ebenso. Dann, geduldig: «Ja, was noch ? … O h … o h … Dexte r … was meinst du damit? Der Mahatma? Was? Ich verstehe nicht!»
    Doch sie verstand sehr wohl. Sie merkte, wie sie unter ihrer dezenten Schminke erbleichte. Irgendwo tief in ihr hatte in den letzten Wochen eine unausgesprochene Angst vor genau diesem Ereignis gelauert, die Angst, dass die Menschen, die den Lehren des indischen Weisen – New Yorks großer «seelischer Auftriebskraft» der letzten beiden Jahre – ablehnend gegenüberstanden, an Macht gewinnen und zu einer Bedrohung werden würden. Und nun erzählte Dexter Manford tatsächlich, er sei gebeten worden, Nachforschungen über die Zustände an des Mahatmas «Schule des östlichen Denkens» anzustellen, was alle möglichen Unannehmlichkeiten nach sich ziehen konnte. Dexter sprach am Telefon verständlicherweise nie viel über berufliche Themen, und nach Ansicht seiner Frau auch nicht genug, wenn er nach Hause kam. Aber das wenige, was sie seinen Worten jetzt entnehmen konnte, verursachte ihr regelrecht Übelkeit.
    «O Dexter, ich muss mit dir darüber reden! Sofort! Du kannst nicht vielleicht zum Lunch heimkommen ? … Unmöglich ? … Nein – heute Abend werden wir dazu keine Zeit habe n … Na, das Dinner für Amalasuntha – bitte vergiss es nicht schon wieder!»
    Eine Hand am Hörer, griff sie mit der anderen nach ihrem Terminkalender (einer Abschrift der Liste von Miss Bruss) und überflog ihn mit einem nervösen, leeren Blick. Ein Skandal – noch ein Skandal! Das durfte nicht sein. Sie hasste Skandale. Und außerdem glaubte sie an den Mahatma. Er hatte das Zweite Gesicht 10 . Von dem Augenblick an, als sie in einem Zeitschriftenartikel diesen Begriff gelesen hatte, fühlte sie in sich eine vollkommene Übereinstimmung mit ih m …
    «Ich muss dich noch vor heute Abend treffen, Dexter. Warte! Ich sehe nur kurz meine Termine durch.» Sie kam zu «16.00: Besuch bei A. 16.30: Musical, Torfried Lobb.» Nein, Torfried Lobb konnte sie nicht streichen; sie gehörte zu den fünfzig oder sechzig Damen, die ihn im vergangenen Winter «entdeckt» hatten, und wusste, dass er mit ihrer Anwesenheit bei seinem Konzert rechnete. Gut, dann musste dieses eine Mal «A» geopfert werden.
    «Hör zu, Dexter, wenn ich um vier Uhr in die Kanzlei komme ? … Ja, Punkt vier. Ist das recht ? … Und unternimm nichts, bevor ich bei dir bin, versprich mir das!»
    Sie legte mit einem Seufzer der Erleichterung auf. Sie würde versuchen, die Dinge wieder zurechtzurücken, indem sie «A» am nächsten Tag besuchte, obwohl die Korrektur ihres Kalenders auf dem
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