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Cyboria - Die geheime Stadt

Cyboria - Die geheime Stadt

Titel: Cyboria - Die geheime Stadt
Autoren: P. D. Baccalario
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geglaubt hatte, war Otto sicher: Sein Opa war ganz in der Nähe und hatte ein diebisches Vergnügen an der Situation.

15
Briefe aus der Vergangenheit
    I ch verstehe gar nichts …«, sagte Otto laut.
    Dann legte er das Ikosaeder auf den Tisch und widmete sich dem versiegelten Brief. Dieses Mal benutzte er die Schere als Brieföffner und riss den Umschlag auf. Er zog ein dreimal gefaltetes Blatt Papier heraus, klappte es auf und las:
    Villa Folgore, Pisa, 12:21 Uhr
    Mein lieber Otto,
    ich weiß, dass du mich genauso gernhast, wie ich dich, aber weine nicht. Ich bitte dich darum. Ich schreibe dir, um mit dir wichtige Dinge zu erörtern, und das kann ich nicht, wenn ich mir vorstelle, dass der Leser dieses Briefes ein Junge ist, der Tränen in den Augen hat. Mein Leser muss ein Mann sein, und ich bin sicher, dass du ein besserer Mann sein kannst als viele andere. Das Alter spielt dabei keine Rolle, das ist nur eine Zahl, auf die es nicht ankommt.
    Wenn du älter wirst, fallen dir all die Dinge wieder ein, die du nicht verwirklichen konntest, die Träume der Jugend, die sich im Laufe der Jahre leider immer mehr verlieren. Ich schreibe das nicht als fürsorglicher, langweiliger Opa, sondern weil ich dir vor Augen halten möchte, dass die Zeit wie im Flug vergeht, auch deine. Das gilt besonders für die wichtigen Dinge des Lebens.
    Nutze die Möglichkeiten, denn sie kommen nicht wieder.
    Niemals.
    Ich war ein glücklicher Mann. Mir war ein erfülltes Leben vergönnt, ich bin vielen interessanten Menschen begegnet, habe gute Freunde gehabt und großartige Dinge lernen dürfen, aber eines bedauere ich. Und dieses Bedauern vererbe ich dir, zusammen mit dem regelmäßigen Ikosaeder in der Schachtel, die jetzt vor dir liegt, und die du gewiss schon geöffnet hast, bevor du meine letzten »Anweisungen« liest.
    Otto lächelte. Wieder einmal bewies sein Großvater, dass er seinen Enkel in- und auswendig kannte und schon vorher wusste, was geschehen würde. »Regelmäßiges Ikosaeder« notierte er sich, bevor er weiterlas.
    Die Schachtel wurde mir von meinem Großvater (deinem Ururgroßvater) Atamante geschenkt. Er hat sie mir zu meinem 21. Geburtstag in die Universität geschickt, das war damals das Alter, in dem man volljährig wurde.
    Zusammen mit der Schachtel bekam ich eine Karte, sehr viel kürzer als dieser Brief. Darauf standen nur zwei Worte: »Geh du!« Was auch immer das bedeuten mochte, ich habe es nie verstanden. Und ich habe ihn auch nie gefragt, denn ich wusste, dass er mir nicht antworten würde. Ich habe immer gewusst, dass die Schachtel mehr enthielt als ein raffiniertes Spielzeug, dass das Ikosaeder eine ganz bestimmte Funktion hat und dass es eine Verbindung zu seinem Lieblingsbild über dem Kamin in der Bibliothek geben muss. Auch wenn das absurd klingen mag.
    Es ist ein futuristisches Gemälde, wenn du es genau wissen willst, und die Futuristen … nun, sie waren eine Gruppe von Künstlern, die von einer anderen Zukunft träumten. Vielleicht machten sie dabei auch Fehler, aber ihre Zukunftsträume waren visionär.
    Jetzt weißt du Bescheid: Ich habe dir unser kleines Familiengeheimnis anvertraut. Dein Vater weiß davon nichts und es wäre mir lieb, wenn es auch so bliebe. Auch mein Vater hat nie etwas davon erfahren …
    Hopp! Hopp!, dachte Otto mit klopfendem Herzen. Es wird immer eine Generation übersprungen, hatte Conte Liguana gesagt.
    Dann las er den Brief zu Ende.
    Vielleicht enttäuscht es dich, dass es mir nicht gelungen ist, dieses Geheimnis zu lüften. Vielleicht schaffst du es, dort hinzugelangen, wohin ich nicht kommen konnte, obwohl es sich meine Großeltern Atamante und Armilla so sehr gewünscht haben. Wer weiß?
    Das war’s schon, Otto. Das ist alles.
    Geh du!
    Und pass auf dich auf …
    Dein Großvater Primo

14
Die Villa des Conte
    D ie Mauern des Klosters, der Certosa di Calci, waren bleich wie die Knochen eines Dinosauriers. Das Bauwerk lag auf halber Höhe des Berghangs, gut geschützt von mächtigen Bäumen, die in der Napoleonischen Zeit gepflanzt worden sein mussten. Conte Liguana stand mit hinter dem Rücken verschränkten Händen am Fenster seines Salons und sah zu dem düsteren Kloster hinüber. Im Park seines mittelalterlichen Anwesens waren die Gärtner damit beschäftigt, die beeindruckende drei Meter hohe Hecke akkurat zu stutzen, die das gesamte Gelände umgab.
    Es klopfte zögernd an der Tür. Ohne sich umzudrehen wusste er, wer es war. Sein Sohn. Ein Mann um die vierzig,
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