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Cronin, Justin

Cronin, Justin

Titel: Cronin, Justin
Autoren: Der Uebergang
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vom Tau und von einem weichen Polster aus Kiefernnadeln bedeckt.
Ohne Mühe fand sie den Tunnel, der unter der Hauptleitung nach draußen führte.
Sie ließ sich durch die Luke hineinfallen und rutschte hindurch.
    Sie spürte ihn schon seit Tagen, Wochen,
Monaten. Das wusste sie jetzt. Sie hatte ihn jahrelang gespürt, schon von
Anfang an. Seit Milagro und dem Tag des Nichtsprechens, seit dem großen Boot
und lange vorher, durch all die Jahre der Zeit, die sich in ihr dehnten. Den,
der ihr folgte, der immer in der Nähe war, dessen Trauer die Trauer war, die
sie in ihrem Herzen fühlte. Trauer, weil er sie vermisste.
    Sie gingen immer nach Hause, und zu Hause war
da, wo Amy war.
    Sie kletterte aus dem Tunnel. Der Morgen würde
gleich dämmern; der Himmel war schon fahl, und die Dunkelheit um sie herum
löste sich auf wie Dunst. Sie ging weg von der Mauer und in den Schutz der
Bäume, und dort schloss sie die Augen und sandte ihre Gedanken aus.
    Komm zu mir. Komm zu mir. Stille.
    Komm zu mir, komm zu mir, komm zu mir.
    Dann spürte sie es: ein Rascheln. Sie hörte es
nicht, sie fühlte es, es glitt über sie hinweg, über jeden Teil ihres Körpers,
und küsste sie wie ein Windhauch. Die Haut an ihren Händen, ihrem Hals, ihrem
Gesicht, die Kopfhaut unter ihrem Haar, die Spitzen ihrer Wimpern. Ein sanfter
Wind der Sehnsucht, der ihren Namen wisperte.
    Amy.
    Ich wusste, dass du hier bist, sagte sie und
weinte, wie er in seinem Herzen weinte, weil seine Augen keine Tränen hatten.
    Ich wusste, dass du hier bist.
    Amy, Amy, Amy.
    Sie öffnete die Augen und sah, dass er vor ihr
hockte. Sie ging einen Schritt auf ihn zu und berührte sein Gesicht, wo die
Tränen gewesen wären, und sie schlang die Arme um ihn. Und als sie ihn
umschlungen hielt, spürte sie seinen Geist in sich, anders als all die andern,
die sie in sich trug, denn es war auch ihr eigener. Die Erinnerungen durchströmten
sie wie eine Wasserflut. Erinnerungen an ein Haus im Schnee und einen See und
ein Karussell mit Lichtern und das Gefühl seiner großen Hand, die ihre
umschloss in einer Nacht, als sie zusammen unter dem Dach des Himmels
dahinschwebten.
    Ich wusste es, ich wusste es. Ich wusste es
immer. Du warst derjenige, der mich liebte.
     
    Der Morgen zog über den Berg herauf. Die Sonne
strahlte ihnen entgegen, eine Klinge aus Licht über der Erde. Sie hielt ihn im
Arm, so lange es ging; hielt ihn fest in ihrem Herzen. Alicia war oben auf der
Mauer und beobachtete sie. Das wusste Amy, aber es war nicht wichtig. Was sie
da beobachtete, würde ein Geheimnis zwischen ihnen bleiben, etwas, das sie
wussten, ohne je darüber zu sprechen. Genau wie Peter und das, was er war. Denn
auch das, glaubte Amy, wusste Alicia.
    - Erinnere dich, sagte sie zu ihm. Erinnere
dich.
    Doch er war fort; ihre Arme griffen ins Leere.
Wolgast stieg auf und flog davon.
    Licht bebte zwischen den Bäumen.
     
    Nachschrift
     
    Roswell Road
     
     
     
    Aus dem Tagebuch der Sara Fisher (»Das Buch
Sara«)
    Vorgelegt auf der Dritten Internationalen Tagung
zur Nordamerikanischen Quarantäne-Periode
    Zentrum zur Erforschung menschlicher Kulturen
und Konflikte University of New South Wales, Indo-Australische Republik
    16.-21. April 1003 n.V
     
    Tag 268
    Drei Tage, seit wir die Farm verlassen haben.
Heute Morgen kurz nach Sonnenaufgang haben wir New Mexico erreicht. Die Straße
ist in sehr schlechtem Zustand, aber Hollis ist sicher, dass es die Route 60
ist. Flaches, weites Gelände, aber im Norden können wir Berge sehen. Ab und zu
steht ein großes, leeres Schild am Straßenrand, überall sind verlassene Autos,
und manche versperren den Weg, sodass wir nur langsam vorankommen. Das Baby ist
unruhig und schreit. Ich wünschte, Amy wäre hier, um es zu beruhigen. Die
letzte Nacht mussten wir im Freien verbringen, und deshalb sind alle erschöpft
und fauchen einander an, sogar Hollis. Allmählich machen wir uns wieder Sorgen
wegen des Benzins. Wir haben nur noch das, was im Tank ist, und einen
Extrakanister. Hollis meint, bis Roswell sind es noch fünf Tage, vielleicht
sechs.
     
    Tag 269
    Die Stimmung bessert sich. Heute haben wir das
erste Kreuz gesehen, einen großen roten Klecks an einem fünfzig Meter hohen
Getreidesilo. Maus war oben auf dem Wagendach und hat es als Erste gesehen.
Alle fingen an zu jubeln. Wir verbringen die Nacht in einem Betonbunker direkt
dahinter. Hollis vermutet, es war früher eine Art Pumpwerk. Dunkel, klamm, und
überall Rohre. In Tonnen lagert dort
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