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Cronin, Justin

Cronin, Justin

Titel: Cronin, Justin
Autoren: Der Uebergang
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Feuerschein verstärkte den pulsierenden orangeroten
Glanz ihrer Augen zu funkelnder Intensität. Ihre Zustimmung brauchte er mehr
als alles andere. Ohne sie würde er gar nichts tun.
    »Ja.« Sie nickte. »Es tut mir leid, das zu
sagen, aber - ja.«
    Es gab keinen Grund mehr, länger zu warten. Wenn
er zu lange über alle möglichen Konsequenzen nachdächte, könnte seine
Entschlossenheit zerbröckeln; das wusste er. Er führte die anderen zu dem
leeren Haus, das er vorbereitet hatte. Es war das letzte am Weg, kaum mehr als
eine Hülse; alle Innenwände waren herausgerissen, nur die nackten Balken
standen noch. Die Fenster waren bereits mit Brettern vernagelt; auch das war
ein Grund, weshalb Peter es ausgesucht hatte - das und die Tatsache, dass es am
weitesten entfernt war. Hollis nahm die Stricke mit, die Peter aus der Scheune
geholt hatte, und Michael und Greer holten eine Matratze aus einem der
Nachbarhäuser. Jemand hatte die Laterne mitgebracht. Während Hollis die
Stricke an die Tragbalken knotete, zog Peter sich bis zur Hüfte aus und legte
sich auf den Rücken. Er war plötzlich sehr nervös; seine Sinne spielten
verrückt, und sein Herz raste. Er schaute zu Greer auf. Es war eine stumme
Abmachung zwischen ihnen: Wenn es so weit ist, zögere nicht.
    Hollis schlang die Stricke um seine Hand- und
Fußgelenke, und Peter lag mit ausgestreckten Armen und Beinen auf der Matratze,
die nach Mäusen roch. Er atmete tief durch, um sich zu beruhigen.
    »Sara, tu es jetzt.«
    Sie hielt die Kassette mit dem Virus in der
einen Hand und eine Spritze, noch in ihrer Plastikverpackung in der anderen.
Er sah, dass ihre Hände zitterten.
    »Du kannst das.«
    Sie gab Michael die Kassette. »Bitte«, sagte sie
flehentlich.
    »Was soll ich damit?« Er hielt die Kassette weit
von sich und wollte sie ihr zurückgeben. »Du bist die Krankenschwester.«
    Peter platzte der Kragen. Wenn es noch länger
dauerte, wäre es aus mit seinem Entschluss. »Könnte irgendjemand es jetzt bitte
erledigen?«
    »Ich mach's«, sagte Alicia.
    Sie nahm Michael die Kassette aus der Hand und
öffnete sie. »Peter.«
    »Was ist jetzt wieder? Himmel noch mal, Lish!«
Sie drehte die Kassette herum und zeigte sie ihm. »Dieser Kasten ist leer.«
    Amy, dachte er. Amy, was hast du getan?
    Sie fanden sie am Feuer, als sie gerade die
letzte Ampulle in die Flammen warf. Baby Caleb lag an ihrer Schulter, in eine
Decke gehüllt. Die Flüssigkeit in der Ampulle dehnte sich kochend aus und ließ
das Glas mit einem zischenden Ploppen zerplatzen.
    Peter hockte sich neben ihr auf den Boden. Er
war so schockiert, dass er nicht einmal Zorn empfand. Er wusste nicht, was er
überhaupt noch empfand. »Warum, Amy?«
    Sie sah ihn nicht an, sondern starrte
konzentriert ins Feuer, als wolle sie sich vergewissern, dass das Virus
wirklich verbrannt war. Mit der freien Hand streichelte sie über das dunkle
Haar des Babys.
    »Sara hatte recht«, sagte sie schließlich. »Mir
blieb nichts anderes übrig.«
    Sie hob den Kopf, und als Peter ihren Blick sah,
verstand er, was sie getan hatte - dass sie beschlossen hatte, ihm diese Bürde
abzunehmen, ihnen allen, und dass es eine Gnade war.
    »Es tut mir leid, Peter«, sagte Amy. »Aber es
hätte dich werden lassen wie mich. Und das konnte ich nicht zulassen.«
     
    Sie sprachen nie wieder von diesem Abend - von
dem Virus, vom Feuer und von dem, was Amy getan hatte. Manchmal, wenn er sich
unversehens daran erinnerte, hatte Peter das seltsame Gefühl, es sei alles ein
Traum gewesen - oder, wenn nicht das, doch etwas Ähnliches mit der
Unausweichlichkeit eines Traums. Und allmählich kam er zu der Überzeugung,
dass die Vernichtung des Virus letzten Endes nicht die Katastrophe war, die er
befürchtet hatte, sondern ein weiterer Schritt auf dem Weg, den sie zusammen
gehen würden, und dass er nicht wissen konnte und auch nicht zu wissen
brauchte, was vor ihnen lag. Wie Amy selbst war es etwas, das er guten Glaubens
annehmen musste.
    Am Morgen ihrer Abreise stand Peter mit Michael
und Theo auf der Veranda und sah zu, wie die Sonne aufging. Sein Bruder hatte
die Schiene endlich ablegen können. Er konnte gehen, aber er hinkte stark und
ermüdete schnell. Unter ihnen waren Hollis und Sara dabei, die letzten Sachen
in den Humvee zu laden. Amy war noch bei Maus, die Caleb ein letztes Mal
stillte, bevor sie aufbrachen.
    »Weißt du«, sagte Theo, »ich habe das Gefühl,
wenn wir je hierher zurückkämen, wäre es genau so, wie es jetzt ist. Als
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