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Creepers

Creepers

Titel: Creepers
Autoren: David Morrell
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geherrscht hatte.
    Ich spürte all das mehr, als dass ich es verstand. Ich stieg vorsichtig knarrende Treppen hinauf, umging heruntergefallenen Putz und Löcher in Fußböden, spähte in verlassene Zimmer und staunte über die Entdeckungen, die ich machte. Tauben nisteten auf Schränken. Mäuse hatten Nester in Sofas gebaut. Schimmel wuchs an Wänden. Unkraut wucherte auf durchweichten Fensterbrettern. Manche der vergilbten Zeitungen und Zeitschriften stammten aus dem Jahr, in dem ich geboren war. Aber keine dieser Entdeckungen bedeutete mir mehr als das Plattenalbum, das ich auf einem rissigen Linoleumfußboden neben einem umgestoßenen dreibeinigen Tisch entdeckte. Ich fand irgendwann heraus, dass man so etwas ein Album nannte, weil Schallplatten bis zu den fünfziger Jahren aus dickem, brüchigem Schellack bestanden, auf jeder Seite mit nur einem einzigen Titel bespielt waren und in ihren Papierhüllen in Ordnern aufbewahrt wurden, die an Fotoalben erinnerten. Zu dem Zeitpunkt, zu dem ich das Album entdeckte, waren diese Platten (die mit 78 U/min abgespielt wurden) von den dünnen Langspielplatten aus Vinyl abgelöst worden, die sehr viel widerstandsfähiger waren, auf jeder Seite bis zu acht Titel hatten und mit 33,33 U/min abgespielt wurden.
    Ich hatte noch nie ein Album gesehen. Als ich es öffnete, verspürte ich eine Ehrfurcht, die auch das Kratzen von zerbrochenem Schellack kaum dämpfen konnte. Zwei der Scheiben waren zerbrochen. Aber die meisten von ihnen (vier, wenn ich mich recht entsinne) waren intakt. Ich umklammerte diesen Schatz und rannte nach Hause. Unser Radio war mit einem Plattenspieler kombiniert. Ich stellte den Teller auf 78 U/min ein (eine Funktion, die damals ganz gebräuchlich war) und legte eine der Platten auf.
    Ich habe den Song mehrfach abgespielt. Ich kann die kratzige Melodie noch heute hören. Auch den Titel habe ich nie vergessen: »Those Wedding Beils Are Breaking Up That Old Gang Of Mine«. Eine Internetsuche erbringt die Information, dass der Song im Jahr 1929 von Irving Kanal, Willie Raskin und Sammy Fain geschrieben wurde. Er war sowohl melodisch als auch rhythmisch, war sofort ein Erfolg und wurde im Lauf der Jahre oft neu aufgenommen. Aber damals wusste ich nichts von alldem. Auch die in den Versen zum Ausdruck gebrachten Gefühle verstand ich nicht - die Einsamkeit eines jungen Mannes, dessen Freunde alle heiraten. Was mich faszinierte, war der kratzige Klang. Er stammte so unverkennbar aus der Vergangenheit und diente mir als ein Zeittunnel, durch den meine Phantasie in eine andere Epoche reisen konnte. Ich stellte mir die Band vor, Leute in ungewohnter Kleidung und umgeben von ungewohnten Gegenständen, die altmodische Musik in einer Kulisse machten, die in meiner Gedanken-Welt immer unscharf und schwarzweiß waren. An den Namen der Gruppe allerdings kann ich mich bedauerlicherweise nicht erinnern. So viel zum Thema Unsterblichkeit. Seither habe ich häufig dem Bedürfnis nachgegeben, aufgelassene Gebäude zu erforschen, gar nicht zu reden von Tunneln und Entwässerungsröhren, obwohl ich nie wieder etwas so Bemerkenswertes gefunden habe wie dieses Schallplattenalbum. Ich ging davon aus, dass meine traumatische Kindheit für meine Begeisterung für bröckelnde, verlassene Bauten verantwortlich war und dass ich mit meiner Besessenheit von Bindegliedern mit der Vergangenheit allein war. Inzwischen ist mir klar, dass es von meiner Sorte noch viele andere gibt. Sie nennen sich »urban explorers«, »urban adventurers« oder »urban speleologists«; ihr Spitzname ist »Creepers«. Wenn man bei Yahoo »urban explorer« eingibt, stößt man auf die verblüffende Anzahl von 170 000 InternetKontakten. Versucht man das Gleiche bei Google, findet man die noch erstaunlichere Anzahl von 225 000 Kontakten. Es ist nur folgerichtig, davon auszugehen, dass hinter jedem dieser Links mehr als nur ein einziger, einsamer Abenteurer steckt. Schließlich baut niemand eine Site zusammen, wenn er oder sie nicht bereits ein Gefühl von Gemeinsamkeit hat. Diese 395 000 Kontakte sind Gruppen, und die simple Logik legt nahe, dass auf jede Gruppe, die an die Öffentlichkeit geht, mehrere andere kommen, die es vorziehen, im Hintergrund zu bleiben. Diejenigen, die lieber anonym bleiben, haben einen guten Grund dafür. Man muss im Gedächtnis behalten, dass diese Art von Entdeckertätigkeit illegal ist. Sie schließt das unbefugte Betreten von Privateigentum ein. Sie ist außerdem gefährlich und kann
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