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Creepers

Creepers

Titel: Creepers
Autoren: David Morrell
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Stromversorgungs- und Telefonsystem. Ein weiterer vergleichbarer Fall ereignete sich im Oktober 2002 in Moskau, als tschetschenische Rebellen ein Theater besetzten. Nachdem die Armee das Gebäude umzingelt hatte, führte ein »urban explorer« die Soldaten durch einen vergessenen Tunnel ins Innere.
    Manches von alldem ist schlichtes Abenteuerspiel. Aber ich glaube, es gibt hier auch eine psychologische Dimension. Ich habe in Creepers geschrieben, dass unsere Welt so belastet ist von einer gewachsenen Bedrohung, dass der Wunsch, sich in die Vergangenheit zu flüchten, sehr verständlich scheint. Alte Gebäude können eine Zuflucht bieten; sie versetzen uns zurück in eine Zeit, die wir uns als einfach und weniger anstrengend vorstellen. In meiner Jugend diente mir der verlassene Wohnblock als Zuflucht vor dem Chaos meines Familienlebens. Ich war ein Zeitreisender; ich fand Trost in einer Vergangenheit, die meine Phantasie ansprach und in der es niemals Streit gab.
    Das war meine Jugend. Als Erwachsener sehe ich die Dinge anders; die Assoziationen sind weniger oberflächlich und weniger beruhigend. Alte Gebäude sind für mich inzwischen wie alte Fotografien. Sie erinnern mich daran, wie schnell die Zeit vergeht. Die Vergangenheit, die sie heraufbeschwören, ruft mir ins Gedächtnis, welches Schicksal auch mir letzten Endes bevorsteht. Sie geben Anlass zur Reflexion.
    Vor einer Weile hatte ich Gelegenheit, die Highschool zu besuchen, auf die ich vor über vierzig Jahren gegangen bin. Ein Teil davon war abgebrannt. Der größte Teil dessen, was noch stand, war seit einem Jahrzehnt verschlossen und vernagelt. Als ich das Gebäude betrat, war ein Altlastenerkundungsteam gerade dabei, es auf Asbest, bleihaltige Farbe und Schimmel zu überprüfen, weil die Schule renoviert werden sollte. Es ist verblüffend, was Jahre der Vernachlässigung anrichten können, vor allem, wenn zerbrochene Fenster Regen und Schnee einlassen. In den verstörend stillen Gängen hatten sich die Dielenböden verzogen. Putz fiel von den Decken. Farbe hing in Streifen von den Wänden. Aber in meiner Erinnerung war noch alles sauber und gepflegt. Ich stellte mir vor, wie Lehrer und lärmende Schüler die Korridore mit Leben erfüllten. Der Haken dabei ist, dass viele dieser Schüler und Lehrer schon lange tot sind. Mitten im Verfall beschwor meine Einbildungskraft eine Jugend und Hoffnung herauf, die lang vergangen war - ebenso wie die Schule bald Vergangenheit sein würde.
     
    Ich frage mich, ob verlassene Gebäude uns als Leerräume dienen, in die Kinder ihr Staunen und Erwachsene ihre uneingestandenen Ängste mitbringen. Als ich dem Bedürfnis nachgab, diese Ruine einer Schule zu besuchen - habe ich mich da unabsichtlich meiner eigenen Sterblichkeit gestellt? Aber mein Besuch war ungefährlich, was die echte »urban exploration« nicht ist. Wenn sie verbotene Stätten infiltrieren und sich mit einer verfallenen Vergangenheit beschäftigen, spielen »Creepers« mit der Gefahr. Jeden Augenblick kann ein Fußboden nachgeben, eine Wand einstürzen, eine Treppe zusammenbrechen. »Creepers« fordern die Vergangenheit dazu heraus, sich an ihnen zu rächen. Mit jeder erfolgreichen Expedition gehen sie siegreich aus einer weiteren Auseinandersetzung mit Alter und Verfall hervor. Ein paar Stunden lang haben sie intensiv gelebt. Vielleicht hoffen sie, mit ihrer Besessenheit von der Vergangenheit ihre eigene unausweichliche Zukunft hinausschieben zu können. Vielleicht ist es für sie auch ein tröstlicher Gedanke, dass die Vergangenheit greifbar in die Gegenwart hineinreicht und dass auch etwas von ihrer Vergangenheit überleben könnte, wenn sie selbst nicht mehr sind.
    Als mein Sohn Matthew mit fünfzehn Jahren an Knochenkrebs starb, war sein schmerzlichster Gedanke: »Aber niemand wird sich an mich erinnern.« Memento mori. Vielleicht ist es dies, worum es bei der »urban exploration« geht. Ist die Besessenheit von der Vergangenheit eine Version der Hoffnung, dass etwas von uns bleiben wird, dass viele Jahre nach uns jemand erforschen wird, wo wir gelebt haben, und unsere Gegenwart spüren wird? Das Schallplattenalbum, das ich gefunden habe - das ferne Zischen, dem ich gelauscht habe, so wie es jemand Jahrzehnte zuvor getan hatte. »Those Wedding Beils Are Breaking Up That Old Gang Of Mine.« Es ist ein Song über die Zeit, über das also, worum es im Grunde in allen Geschichten geht. In den Versen erzählt ein junger Mann, dass er sich einsam fühlt.
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