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Cosmopolis

Cosmopolis

Titel: Cosmopolis
Autoren: Don DeLillo
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ich diese Wörter kenne. Männer kennen diese Wörter. Sie, Sie haben die Erfahrung des Mannseins. Ich kann nicht so weit vorausdenken. Mehr kann ich nicht tun, um ein Mensch zu werden.«
    »Gewalt braucht eine Aufladung, einen Zweck.«
    Er drückte die Mündung seiner Waffe, also Eric, gegen seine linke Handfläche. Er versuchte, klar zu denken. Er dachte an seinen Sicherheitschef, wie er flach auf dem Asphalt lag und nur noch eine Sekunde zu leben hatte. Er dachte an undeutliche, namenlose andere in den zurückliegenden Jahren. Er spürte ein gewaltiges Bewusstsein von Reue. Es durchzog ihn, auch Schuld genannt, und wie seltsam weich sich der Abzug an seinem Finger anfühlte.
    »Was tun Sie da?«
    »Ich weiß nicht. Vielleicht nichts«, sagte er.
    Er sah Benno an und drückte ab. Er begriff, dass noch eine Kugel in der Kammer war, begriff es ungefähr im Augenblick des Schusses, ganz kurz davor und viel zu spät, um noch etwas auszurichten. Der Schuss riss ein Loch mitten in die Hand.
    Er saß mit gesenktem Kopf da, ihm fiel nichts mehr ein, und fühlte den Schmerz. Die Hand wurde heiß. Ein brühheißer Blitz. Sie schien von seinem restlichen Körper abgetrennt zu sein, pervers lebendig in ihrer kleinen Nebenhandlung. Die Finger rollten sich ein, der Mittelfinger zuckte. Eric glaubte zu spüren, wie sein Blutdruck auf Schockniveau absackte. Blut rann an beiden Seiten der Hand hinab, die Handfläche war dunkel verfärbt, versengt.
    Er schloss die Augen gegen den Schmerz. Das ergab keinen Sinn, aber dann irgendwie doch, intuitiv, als Zeichen der Konzentration, als seine direkte Beteiligung an der Wirkung schmerzreduzierender Hormone.
    Der Mann auf der anderen Seite des Tisches saß zusammengekrümmt unter seinem Schleier. Für ihn schien es nichts mehr zu geben, nirgendwo, das zu tun oder zu bedenken sich lohnte. Worte fielen aus dem Badetuch, oder Laute, und er legte die Hände übereinander, die flache Hand drückte die stille, die verkrampfte, die andere Hand voller Einfühlung und Mitleid.
    Es gibt Schmerzen, und es gibt Leiden. Er war nicht sicher, ob er litt. Er war sicher, dass Benno litt. Eric sah ihm zu, wie er eine kalte Kompresse auf die verwüstete Hand legte. Es war keine Kompresse, und kalt war sie auch nicht, aber sie waren sich unausgesprochen einig, diesen Begriff zu benutzen, welche palliative Wirkung er auch immer haben mochte. Das Echo des Schusses hallte elektrisierend durch seinen Unterarm und sein Handgelenk.
    Benno knotete die Kompresse fürsorglich unter dem Daumen fest, zwei Taschentücher, die er ziemlich zeitaufwändig zusammengedreht hatte. Am Puls saß eine Aderpresse, die er angelegt hatte, eine Konstruktion aus Stofffetzen und einem Bleistift.
    Er ging zurück zum Sofa und musterte den schmerzgeplagten Eric.
    »Ich glaube, wir sollten uns unterhalten.«
    »Wir unterhalten uns. Wir haben uns unterhalten.«
    »Ich habe das Gefühl, ich kenne Sie besser als irgendwer sonst. Ich habe unheimliche Erkenntnisse, wahre oder falsche. Ich habe Sie früher oft beim Meditieren gesehen, online. Das Gesicht, die ruhige Haltung. Ich konnte nicht damit aufhören. Manchmal haben Sie stundenlang meditiert. Und Sie wurden dadurch nur immer tiefer in Ihr eiskaltes Herz geschickt. Ich habe jede Minute davon gesehen. Ich habe in Sie hineingeschaut. Ich kannte Sie. Das war noch ein Grund, Sie zu hassen, dass Sie in einer Zelle sitzen und meditieren konnten, und ich nicht. Die Zelle hatte ich, das schon. Aber ich konnte mich nie genug konzentrieren, um mein Bewusstsein zu trainieren, es zu leeren und nur einen Gedanken zu denken. Dann haben Sie die Website aus dem Netz genommen. Als Sie das getan haben, war ich, was weiß ich, tot, noch lange Zeit danach.«
    In dem Gesicht lag etwas Weiches, ein Bedauern, als er Hass und Kaltherzigkeit erwähnte. Eric wollte reagieren. Der Schmerz überwältigte ihn, machte ihn kleiner, fand er, reduzierte ihn in Größe, Persönlichkeit und Wert. Es war nicht die Hand, es war das Hirn, aber es war auch die Hand. Die Hand fühlte sich brandig an. Er glaubte zu riechen, wie eine Million Zellen starben.
    Er wollte etwas sagen. Der Wind wehte wieder herein, noch stärker jetzt, und wirbelte den Staub der eingerissenen Wände auf. Das Geräusch hatte etwas Rätselhaftes, Wind in Innenräumen, eine Andeutung, eine Ahnung von Ungeschütztheit, Innen wurde zu Außen, Papier wehte durch die Flure, die Tür knallte fast zu und schwang wieder auf.
    Er sagte: »Meine Prostata ist
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