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Cosmopolis

Cosmopolis

Titel: Cosmopolis
Autoren: Don DeLillo
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an den Küchentrümmern, blieb stehen, um ein loses Brett wegzuschieben und auf die Straße zu schauen. Er sagte etwas in die Nacht hinaus und ging dann weiter auf und ab. Er war zappelig, tänzelte, murmelte etwas, diesmal hörbar, von einer Zigarette.
    »Ich habe gerade meine koreanische Panikattacke. Das kommt davon, dass ich all die Jahre meine Wut unterdrückt habe. Aber damit ist jetzt Schluss. Sie müssen sterben, egal, was passiert.«
    »Ich könnte Ihnen sagen, dass sich meine Situation im Laufe des Tages verändert hat.«
    »Ich habe meine Syndrome, Sie haben Ihren Komplex. Der abstürzende Ikarus. Das haben Sie sich selbst angetan. Totalschmelze an der Sonne. Sie werden einen Meter tief in den Tod stürzen. Nicht sehr heroisch, wie?«
    Er war jetzt hinter Eric, hielt inne, keuchte.
    »Selbst wenn zwischen meinen Zehen ein Pilz lebt, der zu mir spricht. Selbst wenn ein Pilz mir sagen würde, bring ihn um, selbst dann wäre Ihr Tod gerechtfertigt, weil Sie da stehen, wo Sie stehen. Selbst ein Parasit, der in meinem Hirn lebt. Selbst dann. Er überträgt Botschaften aus dem Weltraum an mich. Selbst dann ist das Verbrechen real, denn Sie sind eine Person, deren Gedanken und Handlungen alle betreffen, Menschen überall. Ich habe die Geschichte, wie Sie es nennen, auf meiner Seite. Sie haben den Tod verdient dafür, wie Sie denken und handeln. Für Ihre Wohnung und was sie gekostet hat. Für Ihre täglichen Arztuntersuchungen. Allein dafür. Einen Check-up pro Tag. Dafür, wie viel Sie hatten und wie viel Sie verloren haben, beides. Und nicht weniger dafür, dass Sie es verloren haben, als dafür, dass Sie es zusammengerafft haben. Für die Limousine, die die Luft verdrängt, die die Menschen in Bangladesch atmen müssen. Allein dafür.«
    »Sie wollen mich doch nicht zum Lachen bringen.«
    »Doch nicht zum Lachen bringen.«
    »Das haben Sie gerade erfunden. Sie haben nie auch nur eine Minute Ihres Lebens damit verbracht, sich um andere Menschen Sorgen zu machen.«
    Er sah, wie das Subjekt einen Rückzieher machte.
    »Na gut. Aber die Luft, die Sie atmen. Allein dafür. Die Gedanken, die Sie haben.«
    »Ich könnte Ihnen sagen, dass sich meine Gedanken weiterentwickelt haben. Meine Situation hat sich verändert. Würde das etwas bewirken? Sollte es vielleicht nicht.«
    »Tut es auch nicht. Aber wenn ich eine Zigarette hätte, vielleicht. Eine Zigarette. Einen Zug an einer Zigarette. Dann müsste ich Sie wahrscheinlich nicht erschießen.«
    »Spricht denn ein Pilz zu Ihnen? Ich meine es ernst. Menschen hören Dinge. Gott zum Beispiel.«
    Er meinte es ernst. Ganz ernst. Er wollte es ernst meinen, alles hören, was der Mann sagen könnte, diesen ganzen formlosen Text der Auflösung.
    Benno kam um den Tisch herum und sackte aufs Sofa. Er legte den alten Revolver hin und betrachtete seine fortschrittliche Waffe. Vielleicht war sie fortschrittlich, vielleicht hatte das Militär sie auch vor ein oder zwei Tagen ausgemustert. Er zog das Badetuch tiefer in sein Gesicht und zielte mit der Pistole auf Eric.
    »Sie sind sowieso schon tot. Sie sind wie jemand, der schon tot ist. Der schon seit hundert Jahren tot ist. Seit vielen Jahrhunderten. Wie tote Könige. Königliche Familie im Pyjama, die Hammel isst. Habe ich das Wort Hammel je benutzt? Kam mir gerade in den Sinn, aus dem Nichts, Hammel.«
    Eric bedauerte, dass er seine Hunde, seine Barsois, nicht erschossen hatte, bevor er heute Morgen aus der Wohnung gegangen war. Hatte er eigentlich daran gedacht, in eisiger Vorahnung? Und der Hai in dem Zehnmeterbecken, das mit Korallen und Seemoos ausgelegt und in eine Wand aus sandstrahlgeschliffenen Glasblöcken eingelassen war. Er hätte Order für seine Hilfskräfte hinterlassen können, den Hai an die Küste von New Jersey zu bringen und im Meer auszusetzen.
    »Sie sollten mich heilen, mich retten«, sagte Benno.
    Seine Augen leuchteten unter dem Saum des Badetuchs. Sie waren auf Eric gerichtet, vernichtend. Aber nicht anklagend. Ein Flehen lag in ihnen, rückwärts gewandt, zerstörte Hoffnung und Bedürftigkeit.
    »Sie sollten mich retten.«
    Die Stimme hatte eine furchtbare Intimität, eine Gefühls- und Erfahrungsnähe, die Eric nicht erwidern konnte. Er bedauerte den Mann. Welch einsame Verbissenheit und Unversöhnlichkeit und Enttäuschung. Der Mann kannte ihn wie niemand je zuvor. Er saß zusammengesunken da, mit angelegter Pistole, aber selbst der Tod, der ihm unabdingbar für seine Befreiung erschien, würde nichts
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