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Cosmopolis

Cosmopolis

Titel: Cosmopolis
Autoren: Don DeLillo
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gefiel die Tatsache, dass sich die Autos nicht voneinander unterscheiden ließen. Er hatte auch so ein Auto haben wollen, weil er es für eine platonische Replik hielt, schwerelos trotz der Größe, weniger Gegenstand als Vorstellung. Aber er wusste, das stimmte nicht. So etwas sagte er nur der Wirkung halber und glaubte keine Sekunde daran. Er glaubte eine Sekunde daran, aber mehr auch nicht. Er hatte das Auto nicht nur wegen der Übergröße haben wollen, sondern weil es aggressiv und verächtlich war, metastasierend, dieses unmäßige Mutantending, das sich breitbeinig gegen jedes Argument behauptete.
    Sein Sicherheitschef mochte das Auto wegen der Anonymität. Lange weiße Limousinen waren zu den unauffälligsten Fahrzeugen der Stadt geworden. Er wartete gerade auf dem Bürgersteig, Torval, kahl und halslos, ein Mann, dessen Kopf aussah, als ließe er sich für Wartungsarbeiten abnehmen.
    »Wohin?«, fragte er.
    »Ich will mir die Haare schneiden lassen.«
    »Der Präsident ist in der Stadt.«
    »Uns doch egal. Wir müssen uns die Haare schneiden lassen. Wir müssen einmal quer durch die Stadt.«
    »Da stoßen Sie auf Verkehr, der sich in halben Zentimetern äußert.«
    »Nur damit ich Bescheid weiß. Von welchem Präsidenten ist die Rede?«
    »Vereinigte Staaten. Straßensperren werden errichtet«, sagte er. »Ganze Straßen vom Stadtplan getilgt.«
    »Zeigen Sie mir meinen Wagen«, sagte er zu dem Mann. Der Fahrer hielt ihm die Tür auf, startbereit für den Lauf hinten um den Wagen herum und nach vorn zur eigenen Tür, acht Meter entfernt. Wo die Schlange aus weißen Fahrzeugen endete, parallel zum Eingang der Japan Society, begann eine weitere Autoschlange, die Town Cars, schwarz oder indigo, und die Fahrer warteten auf Mitglieder der diplomatischen Missionen, auf die Delegierten, Konsuln und sonnenbebrillten Attachés.
    Torval saß vorn beim Fahrer, wo es im Armaturenbrett Computerbildschirme gab und ein Nachtsichtdisplay auf dem unteren Monitor, der an die Infrarotkamera im Kühlergrill angeschlossen war.
    Im Wagen wartete Shiner, sein Technologie-Chef, klein und mit einem Jungensgesicht. Er schaute sich Shiner nicht mehr an. Schon seit drei Jahren nicht mehr. Sobald man einmal hingeschaut hatte, gab es nichts weiter zu erfahren. Man würde noch sein Knochenmark in einem Whiskyglas wiedererkennen. Er trug sein ausgebleichtes Hemd, dazu passende Jeans, und saß wie immer in einer onanistischen Hocke da.
    »Also, was haben wir herausgefunden?«
    »Unser System ist sicher. Wir sind unangreifbar. Es gibt kein Hackerprogramm«, sagte Shiner.
    »Anscheinend aber doch.«
    »Eric, nein. Wir haben alles getestet. Niemand überlastet das System oder manipuliert unsere Webpages.«
    »Wann haben wir das alles gemacht?«
    »Gestern. Im Komplex. Unser schnelles Eingreifteam. Es gibt keinen ungeschützten Zugang. Unser Versicherer hat eine Bedrohungsanalyse gemacht. Wir sind gegen Angriffe abgepuffert.«
    »Überall.«
    »Ja.«
    »Auto eingeschlossen.«
    »Eingeschlossen, absolut, jawohl.«
    »Mein Auto. Dieses Auto.«
    »Eric, ja. Bitte.«
    »Du und ich, wir sind seit dem ersten winzig kleinen Start-up zusammen. Ich will jetzt von dir hören, dass du immer noch das Stehvermögen für diesen Job hast. Die Zielstrebigkeit.«
    »Dieses Auto. Dein Auto.«
    »Den nicht nachlassenden Willen. Denn ich höre ständig von unserer Legende. Wir sind alle jung und clever und von Wölfen aufgezogen worden. Aber das Phänomen des Rufs ist eine heikle Sache. Ein Mensch kann durch ein Wort aufsteigen und durch eine Silbe abstürzen. Ich weiß, dass ich den falschen Mann frage.«
    »Was?«
    »Wo war das Auto gestern Nacht, nachdem wir unsere Tests gemacht hatten?«
    »Ich weiß nicht.«
    »Wo kommen diese Limousinen nachts alle hin?«
    Shiner sackte hoffnungslos in die Tiefen dieser Frage.
    »Ich weiß, ich wechsle gerade das Thema. Ich habe nicht viel geschlafen. Ich seh mir Bücher an und trinke Brandy. Aber was passiert mit den vielen Stretchlimos, die den ganzen Tag lang durch die pulsierende Stadt pirschen? Wo verbringen sie die Nacht?«
    Das Auto geriet noch vor der Second Avenue in stehenden Verkehr. Er saß im hinteren Teil des Wagens im Klubsessel und betrachtete die aufgereihten Datenschirme. Auf jedem Monitor ein Datenmedley, lauter fließende Symbole und Gipfelzacken, pulsierende polychrome Zahlen. Er nahm dieses Material in ein paar langen, stillen Sekunden auf, die Sprachlaute der geschminkten Köpfe ignorierend. Es gab
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