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Cosm

Cosm

Titel: Cosm
Autoren: Gregory Benford
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uns an geistiger Kraft so weit überragen, wie wir heute die unter uns stehende Thierwelt.« 33
    Die Idee des technischen Übermenschen ist geboren.
    Das neunzehnte Jahrhundert beginnt vom Übermenschen, vom sich selbst vergöttlichenden Techniker, von real existierenden ›Göttern‹ zu träumen.
    Ein schönes Zeugnis dieser Weltwahrnehmung findet sich bei Marcel Proust, der den Anblick eines Flugzeugs als junger Mann (erinnernd) so erlebt: »Dann hob ich zu dem Punkte, von dem das Geräusch zu kommen schien, meine tränenerfüllten Blicke und sah fünfzig Meter über mir in der Sonne zwischen zwei großen Flügeln aus funkelndem Stahl, die es trugen, ein Wesen, dessen undeutliche Gestalt mir der eines Menschen zu gleichen schien. Ich war tiefbewegt, wie es ein Grieche gewesen sein mag, der zum ersten Mal einen Halbgott erblickte. (…) ich fühlte, wie vor ihm alle Straßen des Weltenraumes, des Lebens offen lagen.« 34
    Die Gestalt des Kapitän ›Nemo‹, des Kapitän ›Niemand‹ in Jules Vernes berühmtem Roman ›20 000 Meilen unter dem Meer‹ entspricht dem neuen Helden der Technik, der sich im Laufe des 19. Jahrhunderts entwickelt. Es ist der Erfinder, der Ingenieur, der geniale Wissenschaftler, der sich mittels technischer Prothesen in sich einkapselt. Nemos kosmische Reise geschieht im Innern eines gepanzerten Stahlsargs, der ›Nautilus‹, mit der er unter dem Meer kreuzt. Abgeschottet von anderen Menschen lebt er in seiner eigenen Welt, die untergehen muß, als ein Eindringling von Außen, der Ich-Erzähler auftritt. Kapitän Nemo erzählt diesem Eindringling: »Meine Mannschaft und ich essen schon lange keine irdische Nahrung mehr. Die Tiefsee befriedigt alle meine Bedürfnisse. (…) Das Meer ist alles. Es bedeckt sieben Zehntel der Erdoberfläche. Der Seewind ist gesund und rein. Es ist eine unermeßliche Einöde, in der der Mensch doch niemals allein ist, denn er fühlt, wie das Leben um ihn herum pulst. Das Meer spiegelt ein übernatürliches und wunderbares Dasein wider, es besteht nur aus Bewegung und Liebe, es ist die lebendige Unendlichkeit (…). Am Anfang des Lebens war das Meer, und wer weiß, ob es nicht auch am Ende wieder über dem Leben zusammenschlägt. Hier allein gibt es die große Ruhe. (…) Hier allein ist Unabhängigkeit! Hier kenne ich keine Herren. Hier bin ich frei.« 35
    Ist es ein Zufall, daß das Schiff des sozial gestörten ›Niemand‹ namensgebend für ein bekanntes amerikanisches U-Boot wurde?
    Ein anderer berühmter neomythisch bedeutsamer Held der Technik ist die Figur des Dr. Frankenstein der Mary Wollstonecraft Shelley (1797-1851). Der 1818 geschriebene prophetische Briefroman ›Frankenstein. Oder der moderne Prometheus‹ 36 über die Schöpferrolle des naturwissenschaftlichen Menschen und seine Selbstzerstörung im ewigen Eis ist heute immer noch hinsichtlich seiner literarischen Qualität kaum bekannt. Dr. Frankenstein schildert seine Erwartungen an den von ihm geschaffenen künstlichen Menschen so: »Das Leben wie der Tod, sie schienen mir nur noch eingebildete Schranken zu sein, welche ich als erster durchbrechen würde, um danach wahre Kaskaden des Lichtes über unsere Welt der Finsternis auszugießen! Eine neue Rasse würde mich als ihren Schöpfer, als den Ursprung ihres Daseins segnen. Zahllose glückliche und vortreffliche Geschöpfe würden mir ihr Leben verdanken. Kein leiblicher Vater konnte so gewißlich und so absolut auf den Dank seiner Kinder rechnen, wie ich des Dankes jener Wesen gewiß sein durfte!«
    Friedrich Heinrich Tenbruck hat auf eine Transformation dieses Wissenschaftsglaubens seit dem 19. Jahrhundert hingewiesen, die ich hier aufgreifen und vervollständigen will. 37
    Zunächst repräsentieren die experimentellen Naturwissenschaften zu Anfang des 19. Jahrhunderts den Glauben an die (mit Tenbruck gesprochen) »innerweltliche Erlösung von Leid, Ungewißheit und Sinnlosigkeit.« 38 Bald jedoch übernehmen die Sozialwissenschaften diese Rolle. Je mehr nämlich die »Daseinsverhältnisse willkürlich geschaffen und verändert werden konnten, desto mehr galt es nun, mit der Weltanschauung über die Lebensführung hinaus auch für eine bestimmte Art der Gestaltung von Staat und Gesellschaft zu werben und einzutreten«. 39 Seit dem Zweiten Weltkrieg hat sich nun (wie ich – Tenbruck hier weiterführend – voraussetze) der Wissenschaftsglaube noch einmal verschoben.
    In dem Bericht des Club of Rome über ›Die Grenzen des Wachstums‹ 40
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