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Cosm

Cosm

Titel: Cosm
Autoren: Gregory Benford
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alttestamentlichen Danielbuch (Dan 7,13 f.) auf, in der der antike Visionär einen ›Menschensohn‹ als Weltenrichter mit den Wolken des Himmels herabkommen läßt. Jean Paul biegt dieses Bild aus dem Daniel-Buch allerdings um.
    Die Weltperspektive des Weltenrichters ist nämlich so trostlos, wie die Perspektive der Eintagsfliege ›Mensch‹.
    Zunächst beginnt seine Vision einer Himmelsreise wie eine traditionelle Erzählung des Jüngsten Gerichtes.
    »Ich lag einmal an einem Sommerabende vor der Sonne auf einem Berge und entschlief. Da träumte mir, ich erwachte auf dem Gottesacker. (…) Alle Gräber waren aufgetan. (…).
    Alle Schatten standen um den Altar, und allen zitterte und schlug statt des Herzens die Brust. (…)
    Jetzo sank eine hohe edle Gestalt mit einem unvergänglichen Schmerz aus der Höhe auf den Altar hernieder, (…).«
    Nun müßte nach dem traditionellen christlichen Szenario Jesus Christus Gericht über die Auferweckten und über die Lebenden halten und sie zu Gott bzw. in die Straforte schicken.
    Hier aber ändert Jean Paul die Blickrichtung.
    »(…) und alle Toten riefen: Christus! Ist kein Gott?
    Er antwortete: ›Es ist keiner.‹
    Der ganze Leib jedes Toten erbebte, nicht bloß die Brust allein, und einer um den ändern wurde durch das Zittern zertrennt.
    Christus fuhr fort: ›Ich ging durch die Welten, ich stieg in die Sonnen und flog mit den Milchstraßen durch die Wüsten des Himmels; aber es ist kein Gott. (…) Und als ich aufblickte zur unermeßlichen Welt nach dem göttlichen Auge, starrte sie mich mit einer leeren bodenlosen Augenhöhle an, und die Ewigkeit lag auf dem Chaos und zernagte es und wiederkauete sich. – Schreiet fort, Mißtöne, zerschreiet die Schatten; denn er ist nicht!« 44
    Dieser Text von Jean Paul beeindruckt uns, weil er sehr viele Bilder sehr bewußt verwendet. Sehen wir uns diesen Text näher an, so merken wir, daß Jean Paul zwei Arten von Bildern einsetzt.
    Auf der einen Seite tauchen Bilder auf, die uns an die christliche Glaubenstradition erinnern. Da ist zunächst einmal als Rahmenhandlung das Bild der Wiederkunft Jesu Christi zum Gericht und dann im letzten Absatz finden wir Bilder wie ›Himmel‹, ›Gott‹, unermeßliche Welt‹, ›göttliches Auge‹ und ›Ewigkeit‹. Diese traditionellen christlichen Bilder werden nun aber verbunden mit Bildern, die sich auf eine erfahrungswissenschaftlich entzauberte Welt beziehen. Der Himmel wird interpretiert als eine Wüstenlandschaft von Milchstraßen und Sonnen. Von Gott wird festgestellt, daß er nicht existiert, und das göttliche Auge kann die unermeßliche Welt deshalb nicht mehr überblicken, weil es eine abgründige bodenlose Augenhöhle geworden ist. Wenn die Ewigkeit auf dem Chaos liegt, dann ist hier nicht mehr der Geist Gottes, der über den Wassers schwebt (vgl. Genesis 1,1), sondern ein sich selbst zerfleischendes sinnloses Chaos, welches sich ›wiederkauet‹.
    Wenn wir diesen sich ›wiederkauenden‹ Kosmos als Bild nehmen für das, was sich nach Max Jalons Auffassung im Cosm abspielt, dann wiederkauet sich dieser Cosm dergestalt, daß in ihm intelligente Wesen andere Cosm schaffen.
    So entsteht der Gedanke einer unabsehbaren und in sich gestuften Folge von Kosmen, die durch endliche Vernunftwesen wie Alicia Butterworth geschaffen wurden.
    Jalon führt aus: »Wenn die intelligenten Lebewesen in deinem Cosm nur einigermaßen neugierig sind, werden sie ihre eigenen Cosm erzeugenden Experimente durchführen, und sei es nur, um die Theorie zu verifizieren. Wer weiß, vielleicht finden sie sogar eine Möglichkeit, in ein Tochteruniversum hineinzugelangen, und wandern aus? Jedenfalls werden einige Töchter annehmbare Lebensbedingungen bieten, dort wird sich wiederum Intelligenz entwickeln und in der nächsten Tochtergeneration geht es genauso weiter …« (Seite 455).
    Es ergibt sich damit auch der Gedanke einer CosmEvolution. Unter den geschaffenen Universen gibt es einige, die intelligentes Leben hervorbringen und einige, die eben kein intelligentes Leben hervorgebracht haben. Wenn dies der Fall ist, werden sich einige Kosmen fortpflanzen, andere nicht. Die Evolutionstheorie wird hier auf ein kosmisches Niveau gehoben.
    Ist man aber erst einmal gedanklich so weit gekommen, dann ergibt sich notwendigerweise auch als letzte radikale Konsequenz dieser Kosmologie, daß der eigene Kosmos nichts anderes ist als die Schöpfung einer anderen endlichen Vernunft in einem anderen durch endliche
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