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Corvidæ / Haus der Jugend [Twindie: Zwei Romane – ein Preis] (German Edition)

Corvidæ / Haus der Jugend [Twindie: Zwei Romane – ein Preis] (German Edition)

Titel: Corvidæ / Haus der Jugend [Twindie: Zwei Romane – ein Preis] (German Edition)
Autoren: Simone Keil , Florian Tietgen
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 Darius ist ganz bei der Suppe, atmet das Aroma ein, schiebt den Löffel nur langsam in den Mund, schließt die Augen und öffnet sie erst wieder, als er hinuntergeschluckt hat.
          »Wovon?«
          »Von der Unsterblichkeit?«
          »Nein. Sie wurde mir erst später bewusst.« Er isst weiter, hält, wie vorhin schon einmal inne, sieht mich an, ohne zu schmecken, ohne zu schlucken, ohne Bewegung. Wie auch in der Nacht vor fünfzig Jahren, in der er verschwand. Ich warte. Was passiert gerade? Flüstert ihm das Haus etwas zu? Sind wir nicht mehr allein? Mit einem Ruck kehrt wieder Leben in ihn. »Ich frage mich die ganze Zeit, warum ich dir das alles erzählen kann. Warum kann ich mich in deiner Gegenwart erinnern?«
          »Ich kann es in deiner doch auch.«
          An diesem Punkt scheinen wir Gemeinsames zu erleben. Längst verschüttete Ereignisse treten hervor, ohne dass wir sie ausgraben müssten. Auf einmal liegen sie an der Oberfläche.
          Darius nickt. »Ja«, sagt er. Du kannst es auch. Das liegt aber am Einfluss des Hauses. Dich hat es seine Existenz vergessen lassen. Das kann nicht funktionieren, wenn du dich gerade in ihm befindest. Mich aber hat es meine vergessen lassen. Und jetzt, da ich mich befreien und wieder mit meiner Existenz in Kontakt treten will, darf ich mich auf einmal erinnern?«
          »Vielleicht möchte es dich langsam entlassen?« Er kennt das Aloisiushaus besser als ich. Mir fällt keine Erklärung ein, wie auch, wenn nicht mal ihm eine einfällt.
          »Ja, vielleicht.« Sein Blick wird wieder ängstlicher. Skeptisch beugt er sich über die Suppe, als wehte im Geist des Gins eine Antwort. Ich sehe ihm zu, viel zu satt, um nachzuschauen, welche Köstlichkeiten sich noch auf dem Buffet befinden.
          »Als ich dich vor fünfzig Jahren traf«, fährt er fort, »war etwas anders. Ich habe es nicht gleich bemerkt, nicht, als du den Kaffee gemahlen hast, nicht, als wir Sex hatten. Erst, als wir hinterher gemeinsam zu Abend aßen, als du bliebst und wir zusammen einschliefen. Ich wusste, du würdest mir nicht entfallen, für dich wäre ich am nächsten Morgen kein Fremder. Selbst, als ich dich verschreckt hatte, weil ich mit deiner Geschichte zu unvorsichtig war, wusste ich, du würdest wiederkommen. Ich konnte das Gefühl nicht bestimmen. Die bedingungslose Liebe, die Eltern ihren Kindern angedeihen lassen war aus meinem Gedächtnis getilgt. Ich kannte sie nicht. Ich spürte nur die Sehnsucht, die du weckst und stillst. Daher der Leichtsinn mit den Geschichten, daher der Streit über deinen Mut. Ich dachte, jemand, der nicht mit dem Sonnenlicht verblasste, musste das Gleiche fühlen wie ich. Du musstest mich gespürt haben. Ich war völlig perplex, als ich merkte, du hattest nicht.
          Das Aloisiushaus rumorte damals. Es versprach mir die Ewigkeit mit dir, wenn du dich entscheiden würdest und ich jubelte darüber. Endlich heraus aus der Leere, einen Menschen, der bleibt, ein Gefühl, das bleibt, eine Erinnerung, die niemals nur eine Erinnerung bliebe. Mit dir kam mir die Ewigkeit gleich viel weniger schrecklich vor. Als hätte der Teufel mir angeboten, doch noch ins Paradies zu kommen. Aber wird die Hölle zum Paradies, nur weil man sie mit jemandem teilt, den man liebt? Wir fuhren ins Haus, verbrachten wundervolle Tage, die ich nie missen wollte. Und du warst so stark, so gut gelaunt, obwohl das Haus dich schon um deine Zukunft gebracht hatte.«
          

7.
          
          Wo war Darius?
          Es stank nach Bier und Schweiß, nach Tabak und schmutziger feuchter Kleidung, die in der Wärme taute. Die Kneipe war voll, alle Plätze besetzt, am Tresen lehnten Menschen, als wollten sie daran einschlafen. Immer noch besser, als in der Kälte zu frieren. Ich wühlte mich durch die Menge. Wenigstens zur Toilette wollte ich, mir die Hände waschen. Darius finden, so aussichtslos es auch war. Das Papier war längst aufgebraucht, die Hände musste ich an der Hose trocknen. Der Spiegel war beschlagen, trotzdem ein Blick. Wie sah ich aus? Konnte ich mich so in ein Hotel trauen, ohne hinausgeschmissen zu werden? Das Haar war gewaschen, ich war rasiert, nur schlecht gekämmt, meine Kleidung war ordentlich. Ein Wanderer auf der Durchreise.
          Bloß raus aus der Kneipe, irgendwohin, wo ich sitzen konnte, mich hinlegen, schlafen …
          Wo war Darius?
          Gärtnerplatz, Menschen strömten aus dem Theater,
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