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Commissario Brunettis zwanzigster Fall - Reiches Erbe

Commissario Brunettis zwanzigster Fall - Reiches Erbe

Titel: Commissario Brunettis zwanzigster Fall - Reiches Erbe
Autoren: Donna Leon
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man das Haus im Lauf der Jahrhunderte unterzogen hatte, zugemauert worden war. Bei der letzten Renovierung hatte man einige dieser Steine wieder entfernt, die Öffnung verputzt, Bücherbretter eingefügt und das Ganze zu einem Einbauregal umgestaltet.
    Neben dem Sofa stand, ebenfalls vom Fenster abgewandt, ein Tisch mit einer Schreibmaschine. Brunetti glaubte seinen Augen nicht zu trauen. Aber doch, das war tatsächlich eine alte tragbare Olympia, wie seine Freunde sie vor Jahrzehnten zur Uni mitgenommen hatten. Seine Eltern hatten sich keine für ihn leisten können. Er setzte sich an den Schreibtisch und hielt die Hände über die Tasten, achtete aber darauf, [42]  sie nicht zu berühren. Er musste den Kopf ganz nach hinten drehen, um aus dem Fenster zu sehen, orientierte sich am Glockenturm der Kirche und stellte fest, dass die Aussicht nach Norden ging: Bei Tageslicht reichte der Blick von hier oben im zweiten Stock bis zu den Bergen.
    Unterdessen sah Vianello sich in der Küche um, machte Schubladen auf und zu, spähte in den Kühlschrank. Brunetti hörte Wasser laufen und ein Glas klirren, Geräusche, die er tröstlich fand.
    Auch wenn der Schreibtisch offensichtlich nach Fingerabdrücken abgesucht worden war, streifte er aus Gewohnheit Latexhandschuhe über und zog erst dann die eine Schublade auf, ohne zu wissen, wonach er suchte. Erleichtert bemerkte er, dass wenigstens dort Unordnung herrschte: ungespitzte Bleistifte, ein paar Heftklammern, ein Füller ohne Kappe, ein Manschettenknopf, zwei Knöpfe, eine blaue Kladde, wie Schüler sie benutzten und ebenso leer wie viele Schulhefte.
    Er zog die Schublade ganz heraus und stellte sie neben die Schreibmaschine. Dann bückte er sich und spähte in die Öffnung, aber dort war nichts versteckt; auch an der Unterseite der Schublade war nichts festgeklebt. Er kam sich ziemlich albern vor, da Marillo und seine Leute das alles garantiert auch schon getan hatten, ging aber trotzdem in die Knie und sah nach, ob unter der Tischplatte etwas angeklebt war. Nein, nichts.
    »Wonach suchst du?«, fragte Vianello hinter ihm.
    »Ich weiß auch nicht«, gab Brunetti zu und stemmte sich hoch. »Das ist alles so ordentlich.«
    »Aber ist das nicht ein gutes Zeichen?«, fragte Vianello.
    [43]  »Theoretisch schon. Sicher«, sagte Brunetti. »Aber ...«
    »Aber du willst nicht akzeptieren, dass sie an einem Herzversagen oder einem Schlaganfall gestorben sein könnte, wie Rizzardi angedeutet hat.«
    »Ich will überhaupt nichts«, sagte Brunetti gereizt. »Aber du hast den Fleck an ihrem Schlüsselbein gesehen.«
    Statt einer Antwort atmete Vianello einfach nur tief aus. Von dem seltsamen Gefühl, das er gehabt hatte, wollte Brunetti lieber nichts sagen, da er fürchtete, Vianello werde es als Torheit abtun.
    »Nichts weist daraufhin, dass hier jemand herumgewühlt hat«, sagte Vianello. Er sah nach der Uhr, die neben dem Kühlschrank hing. »Es ist kurz vor drei, Guido. Sollten wir nicht die Tür abschließen und versiegeln und morgen - ich meine nachher, heute - weitermachen?«
    Als er hörte, wie spät es war, spürte Brunetti auf einmal die lähmende Schwere und erinnerte sich daran, wie müde er schon vor dem Essen mit Patta und Scarpa gewesen war.
    Er nickte. Sie gingen durch die Wohnung und machten die Lampen aus. Die Fensterläden ließen sie auf, so wie sie sie vorgefunden hatten: Vom campo kam genug Helligkeit herein, so dass sie sich auch nach Löschen fast aller Lichter mühelos in der Wohnung bewegen konnten. Brunetti öffnete die Wohnungstür und machte die Treppenbeleuchtung an. Vianello zog eine Rolle rotweißes Band hervor und klebte ein riesiges X auf die Tür. Brunetti schloss ab und steckte die Schlüssel ein, die er von dem Tisch neben der Tür genommen hatte. Ein Adressbuch hatten sie nicht gefunden. Nur ein normales Telefon ohne gespeicherte Nummern, und jetzt war es zu spät, die Frau oben mit Fragen nach Angehörigen [44]  der Toten zu belästigen. Brunetti drehte sich um und ging die Treppe hinunter.
    »Die Frau oben hat gesagt, sie sei die letzten fünf Tage in einem Hotel in Palermo gewesen. Das werde ich überprüfen«, sagte Brunetti.
    Als sie an der Wohnungstür in der Etage darunter vorbeikamen, wies Vianello mit dem Kinn darauf. »Die Leute hier haben uns rauf- und runtergehen hören, falls sie uns also was zu sagen gehabt hätten, hätten sie das wohl getan.« Bevor Brunetti etwas dazu bemerken konnte, fügte er hinzu: »Aber ich gehe heute noch
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