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Commissario Brunettis zwanzigster Fall - Reiches Erbe

Commissario Brunettis zwanzigster Fall - Reiches Erbe

Titel: Commissario Brunettis zwanzigster Fall - Reiches Erbe
Autoren: Donna Leon
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hatte kommen hören. Der Ispettore machte ein routiniert neutrales Gesicht.
    Brunetti wandte sich wieder der Toten zu. Eine ihrer Hände war zur Faust geballt, wie erstarrt bei dem Versuch, ihre fliehende Seele festzuhalten. Die andere lag locker und offen da, als winke sie gleichmütig ihrer Seele nach.
    »Kannst du das gleich in der Frühe erledigen?«, fragte Brunetti.
    »Ja.«
    »Und siehst du dir alles genau an?«
    Rizzardi stöhnte auf und sagte mit kaum gezügelter Ungeduld: »Guido.«
    Rizzardi sah auf die Uhr: Brunetti wusste, der Doktor musste in den Totenschein eintragen, wann sie gestorben war, aber der Pathologe schien sich mit der Entscheidung außerordentlich viel Zeit zu lassen. Schließlich sah er Brunetti an. »Für mich gibt es hier nichts mehr zu tun, Guido. Ich schicke dir den Bericht so bald wie möglich.«
    Brunetti nickte, sah, dass es schon fast ein Uhr morgens war, und dankte dem Doktor, dass er gekommen war, auch wenn das natürlich zu Rizzardis Dienstpflichten gehörte. Als der Doktor sich zum Gehen wandte, legte Brunetti ihm kurz eine Hand auf den Oberarm, sagte aber nichts mehr.
    »Ich ruf dich an, wenn ich fertig bin«, sagte Rizzardi. Damit wandte er sich ab und verließ die Wohnung.

[34]  4
    B runetti schloss die Tür, unbefriedigt von seinem Gespräch mit Rizzardi, weil der Doktor die Dinge nicht so sehen wollte, wie er selbst sie sah. Bevor er mit Vianello reden konnte, vernahmen sie von unten ein Geräusch: Wieder ging die Tür, dann waren Männerstimmen zu hören. Marillo kam an die Tür des Zimmers, in dem er mit seinen Leuten arbeitete, und sagte: »Der Doktor hat die schon vor einer Weile gerufen; die sollen sie abholen. Das sind sie jetzt wohl.«
    Weder Brunetti noch Vianello erwiderte etwas, die Kriminaltechniker hielten in ihrer Arbeit inne. Schweigend und gebannt harrten sie alle aus bis zur Ankunft der Kollegen, die für die Toten zuständig waren. Brunetti ging öffnen. Die beiden Männer auf der Schwelle wirkten in ihren langen blauen Sanitäterkitteln ganz alltäglich. Einer hatte eine zusammengerollte Trage unterm Arm. Alle in der Wohnung wussten: Unten wartete ein Dritter mit dem schwarzen Plastiksarg, in den die Leiche gelegt würde, ehe man sie aus dem Haus trug und auf das wartende Boot brachte.
    Stille Begrüßung, hier und da ein Nicken; die meisten waren sich schon früher unter ähnlichen Umständen begegnet. Brunetti, der ihre Gesichter, nicht aber ihre Namen kannte, wies den Flur hinunter. Die zwei Männer gingen in das Wohnzimmer, und Brunetti, Vianello sowie Marillo und hinter ihm seine zwei Mitarbeiter warteten, wobei sie zu überhören und nicht zu interpretieren versuchten, was sich dort abspielte. [35]  Wenig später erschienen die beiden mit der Trage, die Gestalt darauf von einer dunkelblauen Decke verhüllt. Erleichtert registrierte Brunetti, dass die Decke sauber und frisch gebügelt war, auch wenn das eigentlich keinen Unterschied mehr machte.
    Die beiden nickten Brunetti zu und verließen die Wohnung; Vianello schloss hinter ihnen die Tür. Niemand im Zimmer sagte etwas, solange die Männer die Treppe hinabstiegen. Als nichts mehr zu hören war und damit feststand, dass die Tote aus dem Haus gebracht worden war, rührte sich immer noch niemand. Schließlich brach Marillo den Bann, indem er sich abwandte und seine Leute wieder an die Arbeit scheuchte.
    Vianello ging in das kleinere Gästezimmer, Brunetti folgte ihm. Das Bett war ordentlich gemacht, das weiße Laken über eine einfache graue Wolldecke umgeschlagen. Es gab nichts Auffälliges in diesem schlichten, fast militärisch - oder klösterlich - eingerichteten Zimmer zu sehen. Auch die Kriminaltechniker hatten bei der Suche nach Fingerabdrücken kaum sichtbare Spuren hinterlassen.
    Brunetti ging durch das Zimmer und schob die Badezimmertür auf. Wer auch immer das Bett gemacht hatte, musste auch die Sachen auf den Ablagen dort geordnet haben: winzige Probeflaschen Shampoo und ein kleines, noch eingepacktes Stück Seife, wie man sie in Hotelzimmern findet; ein Kamm in einer Plastikhülle, eine ebenso verpackte Zahnbürste. An einem Halter neben der geschlossenen Duschkabine hingen frische Handtücher und ein Waschlappen.
    Jemand rief nach Brunetti. Er und Vianello gingen in das [36]  größere Schlafzimmer, von wo Marillo gerufen hatte und wo er an einem der Fenster stand. »Wir sind hier fertig, Commissario«, sagte er. Einer seiner Leute klappte sein Stativ zusammen, wuchtete es sich auf
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