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Commissaire-Llob 3 - Herbst der Chimären

Commissaire-Llob 3 - Herbst der Chimären

Titel: Commissaire-Llob 3 - Herbst der Chimären
Autoren: Yasmina Khadra
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crise (Literatur der Krisenzeit), wie Jean-François Vilar den roman noir bezeichnet, bringt im 200
    Vergleich zum klassischen Rätselroman à la Agatha Christie auch keine definitiven Lösungen mehr, und es gelingt den Helden am Ende der Romane nur noch vereinzelt, die wahren Täter zu fassen und die alte Ordnung sowie die damit ver-bundene Sicherheit wieder herzustellen. Ermittlungen können meist nur noch punktuell erfolgreich abgeschlossen werden, aber auch in diesen Fällen sind Schuld und Gerechtigkeit relativ, und bei den Ermittlern bleiben am Ende immer Zweifel und ein Gefühl von Bitterkeit zurück. Zieht man diese Gattungsmerkmale in Betracht, wird evident, daß Yasmina Khadra im roman noir ein maßgeschneidertes Genre gefunden hat, um die verworrene und ausweglose Situation in Algerien zu verarbeiten.
    Daß es in Algerien keine „Wahrheiten“ mehr gibt, sondern nur noch Bedrohung, Verrat und Korruption, führt Yasmina Khadra dem Leser in Herbst der Chimären noch drastischer vor Augen als in den vorausgegangenen Bänden. Zunächst fällt auf, daß es sich nicht mehr um einen roman noir im eigentlichen Sinn handelt. Der Ermittler und vor allem der Schriftsteller Llob wird in diesem Roman selbst zum Gejag-ten, wobei bis zum Schluß offen bleibt, wer den Protagonis-ten zum Schweigen bringen will. Auf der Ebene der Gattung kommt es dadurch zu einer interessanten Verknüpfung zwischen roman noir und roman à suspense. Letzterer zeichnet sich dadurch aus, daß die Handlung aus der Perspektive des bedrohten Opfers erzählt wird. Damit setzt der Autor die undurchsichtigen Verhältnisse, die den Algerienkonflikt charakterisieren, auf der Ebene der Gattung um.
    Der Kriminalroman bietet sich auch auf ästhetischer Ebene für die Darstellung des blutigen Konflikts an und ermöglicht dem Autor, „Bilder“ von den Ereignissen in Algerien zu vermitteln, die normalerweise nicht an die Öffentlichkeit dringen. Der schnelle Rhythmus, die kurzen Sätze und knappen Beschreibungen, der effiziente und oft nervöse Stil, typisch für den roman noir ganz allgemein, erinnern an Momentaufnahmen, die Kriegsberichterstatter oft im Verborge-201
    nen und in aller Eile machen müssen. Wie die Bilder eines Fotografen, der keine Zeit hat, lange zu überlegen und auf dem Objekt zu verweilen, bevor er auf den Auslöser drückt, so präsentieren sich auch die Momentaufnahmen der kriegerischen Auseinandersetzungen in Algerien bei Yasmina Khadra. Die knappen aber äußerst präzisen Beschreibungen von Anschlägen und Opfern, die literarischen „Bilder“ machen den Konflikt „sichtbar“. Das hat nichts mit Voyeuris-mus oder Sensationslust zu tun, vielmehr geht es dem Autor um eine möglichst authentische Darstellung: „Mes romans sont durs à l’image de la réalité algérienne. Je rends compte d’une tragédie. Une tragédie insoutenable. – Meine Romane sind hart, weil das der algerischen Realität entspricht. Ich lege Rechenschaft ab über eine Tragödie, die unerträglich ist“, sagt Yasmina Khadra im Anhang zur deutschen Ausgabe Doppelweiß. Indem der Autor jene „Bilder“ des Krieges in Algerien in seine Romane einfügt, die der Öffentlichkeit vorenthalten werden, trägt er dazu bei, daß dieser Konflikt auch von den nicht unmittelbar Betroffenen wahrgenommen wird und daß dieser Krisenherd auch außerhalb Algeriens in den Köpfen der Menschen Gestalt annimmt und zu existieren beginnt.
    Der Suche nach der „Wahrheit“, die das Genre des Kriminalromans charakterisiert, kommt in Zusammenhang mit der Algerienkrise eine besondere Bedeutung zu. So geht es Yasmina Khadra nicht vorrangig darum, Mordfälle und Verbrechen aufzuklären; vielmehr stehen der blutige Konflikt und seine Hintergründe im Zentrum der Untersuchungen, die Commissaire Llob, der brummige, aber sensible Protagonist der Serie, dessen Name auf Arabisch soviel bedeutet wie
    „harter Kern, weiches Herz“, durchführt. Diesem Auftrag kommt Brahim Llob in einer Doppelrolle nach, nämlich als Kriminalbeamter und als Schriftsteller. Der Ich-Erzähler Llob wird als gefeierter Autor präsentiert, der aber in Herbst der Chimären wegen der Veröffentlichung von Morituri vorü-
    bergehend vom Polizeidienst suspendiert wird. Dieses selbst-202
    reflexive Spiel gibt dem realen Autor die Möglichkeit, die Aufnahme seiner Romane in Algerien zu kommentieren und durch die Einbindung kritischer Stellungnahmen den Zünd-stoff, den die Romantrilogie enthält,
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