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Commissaire-Llob 3 - Herbst der Chimären

Commissaire-Llob 3 - Herbst der Chimären

Titel: Commissaire-Llob 3 - Herbst der Chimären
Autoren: Yasmina Khadra
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zuguns-
    ten des anderen zu vernachlässigen, hatte er un-
    recht? Eines ist gewiß: Er horchte auf sein Gewis-
    sen, und das ist alles andere als selbstverständlich.
    In einem Algerien, das verzweifelt auf der Suche
    nach sich selber war, ging Brahim, gleich ob im
    Schatten oder im Rampenlicht, während jeder um
    seinen Platz an der Sonne buhlte, aufrecht und ge-
    radlinig seinen Weg. Verführerische Angebote,
    Aussicht auf Profit, gute Gelegenheiten, die an-
    dernorts Diebe machen, all dem ist er nie erlegen.
    Und das wird man ihm nie verzeihen. Brahim hielt
    unbeirrbar Kurs auf das, was ihm loyal und gerecht
    erschien; alles andere hatte wenig Bedeutung für
    ihn. Er legte von Anfang an seine Marschroute fest
    und hat sie sein Leben lang eingehalten, couragiert und uneigennützig. Heute hat er nichts zu bereuen.
    Er war erfolgreich. Er ist mit sich und seinem Ge-
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    wissen im reinen, und das, das können leider Got-
    tes nicht viele unter uns von sich behaupten …
    Was soll man sagen über einen Mann, der eine
    Laufbahn als Ordnungshüter angetreten hat, um
    tatsächlich ein Hüter der Ordnung zu sein, der mit
    aller Kraft an Recht und Gerechtigkeit geglaubt
    und schwer geschuftet hat, um ihr würdiger Diener
    zu sein, während andere sie schamlos für sich
    selbst zurechtbogen, der elementarsten Regeln von
    Anstand und Sitte spottend? Nichts. Man sagt
    nichts. Man schweigt und schaut zu. Das Schamge-
    fühl verlangt, daß man vor so viel aufrechtem Sinn
    verstummt. Vor allem, wenn er einem selber ab-
    geht.“
    Er dreht sich zu mir um, sieht mich eindringlich
    an. Seine Augen glänzen, die Blätter in seiner
    Hand sind völlig zerknüllt:
    „Brahim, mein Freund, falls es überhaupt jeman-
    den gibt, der es verdient hat, Polizist zu sein, mit einem P, das so hoch wie eine Säule ist, dann du.“
    Der hintere Teil vom Saal erbebt in einer ohren-
    betäubenden Ovation. Die Euphorie setzt sich nach
    und nach bis in die vorderen Reihen fort, über-
    schwemmt zuletzt die Tribüne. Einer der Buddhas
    steht plötzlich auf und klatscht so ungestüm Bei-
    fall, daß er sich fast die Handflächen wundreibt.
    Reihe für Reihe erhebt sich der Saal in schallen-
    dem Gejohle. Lino pufft Ewegh in die Seite, um
    ihn aufzuwecken, und zwinkert mir zu. Bayas Ju-
    beltriller spritzen hoch auf wie Wasserstrahlen. Der 185
    Direktor kommt mir mit weitgeöffneten Armen
    entgegen, und das trotz der vergrätzten Miene von
    Mourad Smaïl. Ich erhebe mich, um mich mit ihm
    ins Getümmel zu stürzen.
    „Vielen Dank“, stammle ich. „Ich bin zutiefst ge-
    rührt.“

    Nach der Zeremonie wollen Leutnant Chater und
    sein Ninja*-Trupp [* algerische Spezialeinheit zur Terro-ristenbekämpfung] unbedingt Erinnerungsfotos mit mir im Hof der Zentrale schießen. Andere Wegge-fährten kommen hinzu, um mich zu beglückwün-
    schen und moralisch aufzurüsten. Capitaine Berrah
    von der Geheimdienstzentrale, der den Höhepunkt
    des Spektakels aufgrund einer technischen Panne
    verpaßt hat, stößt dazu, als ich mich gerade verab-
    schieden will. Sein Rochengesicht hat er hinter
    einer Sonnenbrille versteckt, was mich ungemein
    beruhigt. Eweghs Ausrutscher** [** siehe die Szene in
    „Doppelweiß“, in der Ewegh den Geheimdienstoffzier Berrah zusammenschlägt] ist dabei, sich in eine halb ver-gessene falsche Bewegung zu verwandeln, denn
    die Plattnase nimmt langsam wieder Gestalt an. Er
    läßt sich sogar fotografieren, erst mit mir, dann
    zwischen Lino und den Targi geklemmt, wodurch
    ein sinnloses Ressentiment begraben wird. Inspek-
    tor Bliss nähert sich schüchtern lächelnd auf Ze-
    henspitzen. Er wartet geduldig, bis der Fotograf
    seine Utensilien verstaut hat, dann baut er sich vor mir auf. Seine Nagetierhand betastet einen Sticker
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    in den algerischen Nationalfarben, den er am Ja-
    ckettkragen trägt.
    „Ich frage mich bloß, an wem ich mich jetzt
    schadlos halten soll, wo du mir zwischen den Fin-
    gern durchflutschst, Kommissar.“
    Es ist das erste Mal, daß er mich Kommissar
    nennt. Er ist sichtlich bewegt. „Dich habe ich lieber als jeden anderen verpfiffen“, schiebt er mit belegter Stimme nach. Er löst den Sticker mit flatternder Hand vom Revers und steckt ihn mir an die Brust.
    „Hat mir mein Sohn an einem 5. Juli geschenkt.
    Heute schenke ich ihn dir. Ich nehme nicht den
    ersten Platz in deinem Herzen ein. Ich werde mich
    mit einem Quadratzentimeter auf deiner Jacke be-
    gnügen. Mehr braucht’s nicht, um mich
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